Ankommen in der Adventszeit: Zwischen Besinnung und Engagement
Wir sind tatsächlich in der Adventszeit angekommen. Ich frage mich, wie du diese Zeit nutzt. Ist es für dich eine Phase, in der du dich zurückziehst, um dich ein wenig zu besinnen, Gemütlichkeit zu erleben und Ruhe zu finden – vielleicht bei Kerzenlicht und Plätzchen, vielleicht schon heute Nachmittag?
Oder ist die Adventszeit für dich eine Zeit, in der du sagst: Gerade jetzt möchte ich für Gerechtigkeit eintreten, ich will aktiv werden und etwas tun?
Dieses Engagement erleben wir gerade sehr stark. Im Fokus steht dabei vor allem Katar in diesen Tagen. Dort kämpfen viele für Gerechtigkeit. Manche tun dies durch Boykottandrohungen, um mehr Gerechtigkeit für Arbeitsmigranten zu erreichen. Andere meinen, sie müssten bestimmte Binden tragen, um für sexuelle Vielfalt einzutreten – auch das ist ein Recht, für das viele kämpfen.
Hier in unserem Land setzen sich manche in diesen Tagen mit großem Einsatz ein, oft begleitet von lautem Geschrei und Aggression. Kunstwerke werden zerstört, um Aufmerksamkeit zu erregen. Manche kleben sich an verschiedenen, teils ungewöhnlichen Orten fest, um Klimagerechtigkeit zu fordern. Der Kampf um tatsächliche oder auch angebliche Rechte wird scheinbar immer lauter und schriller.
Wird das zum Erfolg führen? Kann das vielfältige Unrecht in dieser Welt überhaupt überwunden werden?
Vielleicht ist die Frage nach Recht auch für dich eine ganz persönliche. Vielleicht leidest du unter großem Unrecht und fragst dich, wer dir zu deinem Recht verhelfen kann. Solltest du selbst dafür kämpfen? Oder solltest du einfach abwarten? Oder wie sonst?
Unser Predigttext gibt uns sichere Antworten auf diese Fragen. In ihm lesen wir davon, wie das Recht auf Erden aufgerichtet werden wird.
In dieser Adventszeit wollen wir uns mit vier Adventsliedern auseinandersetzen. Es sind biblische Adventslieder, die sogenannten Gottesknechtslieder. Diese bestehen aus vier besonderen Passagen aus dem hinteren Teil des Buches des Propheten Jesaja.
Einführung in die Gottesknechtslieder und der Predigttext
Jesaja hat ein langes Buch geschrieben, ungefähr zwischen 730 und 700 vor Christi Geburt. Im zweiten Teil dieses Buches, der in Kapitel 40 beginnt, finden sich vier Abschnitte, in denen ein Gottesknecht im Mittelpunkt steht. Mit diesen Liedern blickt Jesaja auf die Zeit der Ankunft eines von Gott Gesandten. Es sind Adventslieder.
Heute kommen wir zu dem ersten Adventslied, Jesaja 42, die ersten vier Verse. Manchmal wird das erste Gottesknechtslied auch bis Vers neun gesehen. Ich denke jedoch, dass das eigentliche Gottesknechtslied die ersten vier Verse umfasst. Die Verse fünf bis neun sind dann eine weitere Erklärung dazu.
Deshalb haben wir heute einen recht kurzen Predigttext: vier Verse aus Jesaja 42, Verse eins bis vier. Ich möchte diese vier Verse vorlesen:
Siehe, das ist mein Knecht, ich halte ihn und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben, er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte, und die Inseln warten auf seine Weisung.
Soweit Gottes Wort. Lassen Sie uns diese vier Verse betrachten und uns dazu ein wenig durch den Text durcharbeiten – in vier Punkten.
Gottes Vorstellung seines Knechtes: Ein besonderer Auserwählter
In Vers 1 lesen wir gleich zu Beginn, wie Gott seinen Knecht vorstellt. Die Worte, die wir hier finden, klingen ein wenig wie die eines Vaters, der sehr stolz auf seinen Sohn ist und ihn der ganzen Welt zeigen möchte: „Siehe, das ist mein Knecht, ich halte ihn für einen Auserwählten, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben.“
Das Wort „Siehe“ folgt hier unmittelbar auf einen anderen Ausruf, der direkt am Ende von Kapitel 41 steht. Kapitel 41 ist ein interessantes Kapitel. In der Lutherbibel ist es ab Vers 9 überschrieben mit „Die Völker vor dem Weltenrichter“. In diesem Kapitel kündigt Gott sein kommendes Gericht über die ganze Welt an, sogar über die äußersten Enden der Erde. Diese äußeren Enden beschreibt Jesaja oft als die Inseln – das, was weit draußen und fern ist.
Alle Welt wird gerichtet werden, und sie werden erschrecken, wenn Gott auftritt, um sein Recht durchzusetzen. Der Grund dafür ist die Rebellion, in der sie leben, die für Gott nicht akzeptabel ist. Diese Menschen geben sich falschen Göttern hin, leben gegen Gott, verkennen ihn und tun böse Dinge.
So endet Kapitel 41 mit den Worten: „Siehe, sie sind alle nichts, und nichtig sind ihre Werke, ihre Götzen sind leerer Wind.“ Und dann folgt der Ausruf: „Siehe, das ist mein Knecht, ich halte ihn, meinen Auserwählten, an dem meine Seele Wohlgefallen hat.“
Nachdem Gott also gerade die ganze Sündhaftigkeit und Gottlosigkeit der Welt angeklagt hat, hebt er nun den einen hervor, der ganz anders ist als all die anderen. Diesen Knecht nennt Gott seinen Knecht. So hatte Gott einst das Volk Israel bezeichnet. Es war sein erwähltes Volk, ein Volk, das der Herr gesegnet und dem er große Versprechungen gemacht hatte.
Doch Israel erwies sich als untreuer Knecht. Deshalb würde Gott zuerst die zehn Nordstämme richten, indem er das Volk Assyrien aus dem Norden kommen ließ. Die zehn Nordstämme wurden ins Exil geführt. Dies geschah zur Zeit Jesajas. Jesaja kündigte es an, und es geschah.
Jesaja sprach hauptsächlich zum Südreich Juda. In diesem Reich gingen die Dinge zur Zeit Jesajas noch etwas besser. Doch Jesaja sagte dem Volk Juda, dass auch sie von Gott zur Rechenschaft gezogen würden und ins Exil geführt werden. Das ist das, was wir in den ersten 39 Kapiteln des Buches Jesaja lesen.
Jetzt aber spricht Gott von einem Knecht, der ganz anders ist. Ein Knecht, der nicht gestraft wird, sondern den Gott in besonderer Weise beschützen wird. Anders als Israel wird dieser Auserwählte nicht gegen Gott rebellieren und damit das verdiente Gericht Gottes auf sich ziehen.
Dieser Knecht ist sein Auserwählter, an dem seine Seele Wohlgefallen hat. So stellt Gott uns diesen Knecht vor. Dann lenkt er unsere Aufmerksamkeit darauf, wie er diesen Sohn beschenkt hat: „Ich habe ihm meinen Geist gegeben.“
Der Geist Gottes war zur Zeit Jesajas etwas, das nur sehr wenige Menschen erhielten, meist Propheten und Könige, und zwar für ganz besondere Aufgaben. Deshalb fragt man sich natürlich, wer dieser besondere Gottesknecht ist, an dem Gott Wohlgefallen hat und den er mit seinem Geist ausgerüstet hat.
Fast siebenhunderte Jahre warten die Menschen auf das Kommen dieses Gottesknechts. Dann ist es so weit: An einem Tag kommt ein gewisser Jesus aus Nazareth zum Jordan, um sich von einem gewissen Johannes taufen zu lassen.
Als Johannes Jesus getauft hat, lesen wir, dass sich der Himmel öffnete. Jesus sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und auf sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel sprach: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“
Der, an dem Gott Wohlgefallen hat, der den Geist Gottes vom Vater empfängt und von dem Jesaja hier spricht, das ist Jesus. Er ist der Gottesknecht, an dem Gott Wohlgefallen hat.
Unser Text hier aus Jesaja 42, so zeigt es auch Jesus, bezeugt die ganze Schrift von ihm, von diesem einen geliebten Sohn, der sich ganz in den Dienst des Vaters stellt und deshalb auch sein Knecht ist.
Wir tun gut daran, in der Schrift diesen Sohn Gottes immer mehr zu erkennen und zu verstehen, wozu Gott der Vater seinen Sohn in diese Welt gesandt hat.
Der Auftrag des Gottesknechts: Recht bringen und aufrichten
Und davon lesen wir dann am Ende von Vers 1. Das ist wirklich der zweite Punkt hier in dieser Predigt.
Also nochmal Vers 1: Siehe, das ist mein Knecht, ich halte ihn, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben, er wird das Recht unter die Heiden bringen.
Der Gottesknecht bringt das Recht. Die Elberfelder Übersetzung bringt es passender mit dem Wort „er wird es kundtun“. Es geht hier um die Verkündigung. Wir haben das gerade auch schon gehört: Matthäus zitiert die Worte aus Jesaja. Dort wird ebenfalls gesagt, dass er es verkündet. Es geht also darum, dass dieser Gottesknecht zuerst mit einer Verkündigung kommt, die bis an die Enden der Erde gehen soll.
So heißt es dann auch in Vers 3. Das ist wirklich die Kernbotschaft in diesem ganzen Abschnitt. In Vers 3 steht noch einmal: In Treue trägt er das Recht hinaus.
Und dann auch noch einmal in Vers 4, wo deutlich wird, dass er diese Aufgabe, seine Aufgabe, vollbringen wird. Er wird nicht gestoppt werden, wie es hier heißt, bis er auf Erden das Recht aufrichte.
Das ist das, was wir bei dem Gottesknecht hören. Das ist die zentrale Botschaft dieses Gottesknechtsliedes: Er verkündet Recht, er richtet Recht auf, er trägt das Recht hinaus in alle Welt.
Das Wesen des Rechts in Jesajas Botschaft
Das Recht. Aber was ist das eigentlich, das Recht?
In unserer Welt gibt es viele verschiedene Vorstellungen davon, was Recht sein sollte. Ich habe allein in dieser Woche bei der Vorbereitung einer Predigt einmal geschaut, wo mir das Thema Recht in den Nachrichten begegnet ist. Dabei ging es oft um Menschenrechte. Zum Beispiel das Recht auf freie Religionsausübung, weil ich auch christliche Literatur lese. Sonst kommt das leider nicht so oft vor.
Außerdem wurde in den Nachrichten über das Recht von Arbeitsmigranten im Mittleren Osten berichtet. Ein großes Thema in Frankreich war diese Woche das Recht auf Abtreibung. Und es gab noch viele weitere Beispiele.
Viele der Rechte, die hier in westlichen Ländern lautstark eingefordert werden, sind in anderen Teilen der Welt überhaupt nicht als Rechte anerkannt. Vor hundert Jahren waren sie in unserem eigenen Land oft ebenfalls keine akzeptierten Rechte. Damals gab es keine Rechte, die man hätte einfordern oder schützen müssen.
Wir sehen also: Das Verständnis davon, was Recht ist, verändert sich – je nach Kultur und Zeit.
Was aber ist das Recht, von dem Jesaja vor über 2700 Jahren geschrieben hat? Was ist das Recht, das der Gottesknecht aufrichten wird?
Nun, es ist das ewige und unveränderliche Recht unseres ewigen und unveränderlichen Gottes. Der Gottesknecht wird das wahre, das ewig gültige und weltweit gültige Recht verkünden.
An diesem Recht, an Gottes Recht, werden sich alle anderen Rechte messen lassen müssen.
Wir werden sehen: Dieses Recht ist ein Recht, das Gott durch seinen treuen Knecht verkündet und das er durch ihn auch aufrichten wird. So dürfen wir wissen: Nicht nach unseren Standards, sondern nach Gottes Standards wird eines Tages alles Unrecht und alle Ungerechtigkeit ein Ende haben.
Das klingt großartig, oder? Ein Ende mit allem Unrecht. Gerade wenn wir unter Ungerechtigkeit leiden, klingen diese Worte wunderbar und so tröstlich.
Die Herausforderung des göttlichen Rechts
Und doch müssen wir eingestehen, dass diese Ankündigung für uns nicht nur tröstlich, sondern auch bedrohlich ist. Denn wenn eines Tages alles Unrecht gerichtet wird, muss uns klar sein, dass auch wir in gewisser Gefahr stehen. Wir sind ja nicht nur Opfer von Unrecht, sondern oft auch Täter.
Wer von uns tut nur das, was gut und recht ist in den Augen unseres Gottes? Deshalb sollten wir vorsichtig sein, zu laut nach Gerechtigkeit zu rufen.
Tatsächlich muss ich sagen, dass ich mich bei aller berechtigten Kritik an den Umständen, zum Beispiel in Katar, ein bisschen schwer tue mit der dahinterstehenden Doppelmoral, die ich dort erlebe. Wir Westler sind so schnell dabei, mit einem moralischen Gewissen den Menschen in Katar zu sagen, was sie alles falsch machen. Dabei erheben wir uns auf hohem Grund und übersehen das eklatante Unrecht in unserem eigenen Land.
Wir klagen für die Rechte der Arbeitsmigranten, und das ist gut und richtig. Aber wir verkennen vollkommen die Rechte der Ungeborenen im Mutterleib. Im Gegenteil, wir sprechen sogar davon, dass es ein Selbstbestimmungsrecht der Frauen geben sollte, und töten in diesem Namen jedes Jahr ungefähr hunderttausend Menschen in unserem Land.
Das Selbstbestimmungsrecht gilt nur den Frauen, die das Glück hatten, geboren zu werden. Es herrscht überall Doppelmoral. Diejenigen, die laut nach Recht rufen, müssten nur einen Moment in den Spiegel schauen und merken, wie schwierig dieses laute Rufen ist.
Und das gilt natürlich auch für uns Christen. Wir sind schnell dabei, vielleicht auch Unrecht und Unmoral bei anderen anzuklagen, aber übersehen dabei oft das Unrecht in unserem eigenen Leben.
Ich weiß, wovon ich rede. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht gegen Gottes Recht rebelliere, an dem ich nicht Dinge tue, die in Gottes Augen und nach Gottes Wort unrecht sind. Ohne hier jemandem zu nahe treten zu wollen, kann ich mir gut vorstellen, dass es jedem von uns so geht.
Von daher ist der Gedanke, dass der Gottesknecht einem Unrecht ein Ende machen und Gottes Recht aufrichten wird, ein Gedanke, der uns durchaus auch Angst machen kann.
Die sanfte Macht des Gottesknechts: Sanftmut statt Geschrei
Wie wird also der Gottesknecht das Recht Gottes aufrichten? Wird er, so wie es damals üblich war, in aller Konsequenz und Härte kommen? So, wie die Könige gegen ihre Feinde auszogen, mit lautem Kriegsgeschrei alles vernichtend, was sich ihnen in den Weg stellte?
In den Versen zwei und drei lesen wir jedoch, wie der Gottesknecht kommen wird und was er tun wird, wozu er gesandt ist. Ich lese nun die Verse zwei und drei, das ist der dritte Punkt dieser Predigt:
„Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus.“
Der Gottesknecht kommt also ganz anders als viele der Mächtigen aller Zeiten, die oft laut und voller stolzer Worte sind und die Aufmerksamkeit der Menschen suchen. Jesus hingegen, der Sohn Gottes, der ewige Sohn Gottes, der sich treu in den Dienst Gottes und der Menschen stellt, kommt ganz anders.
Denkt nur an die Worte aus dem Christushymnus aus Philippa 2, wo es heißt, er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein. Nein, er entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an und wurde dem Menschen gleich.
Das beginnt schon bei seiner Geburt. Gott selbst erniedrigt sich so weit, dass er als hilfloses, kleines Baby in einem Stall die Bühne dieser Welt betritt. Als er dann aufgewachsen ist, ist er nicht der Lautsprecher, der gnadenlos seinen Auftrag ausführt. Ganz im Gegenteil: Sein Auftreten war geprägt von Sanftmut und Barmherzigkeit.
Wir lesen hier: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Das sind wunderbare Bilder dafür, wie vorsichtig, sanft und liebevoll Jesus agiert. Der Gottesknecht bringt Gottes Recht, aber er tut es voller Barmherzigkeit gegenüber jedem, der anerkennt, wie schwach und hilfsbedürftig er ist.
Ist das nicht eine frohe Botschaft? Zumindest eine frohe Botschaft für jeden, der sich nicht für stark und gerecht hält. Wenn ich mich vor Gott sehe mit all meiner Schuld, mit all meiner Schwachheit, mit all meinem Versagen im Kampf gegen Versuchungen, dann ist es tröstlich, diese Worte zu hören.
Der Gottesknecht, der Herr Jesus, kommt nicht, um mich oder uns plattzumachen. Er sieht uns, und „das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“
Wir sehen, wie Jesus das gelebt hat, als eines Tages eine Ehebrecherin vor ihn gezerrt wurde. Da sah er sie voller Barmherzigkeit an. Er sah sie mit ihrer Sünde, und er sah die selbstgerechten Ankläger. Zu ihnen sprach er: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie.“
Nachdem dann ein Ankläger nach dem anderen davongegangen war, wandte sich Jesus der Frau zu und sagte zu ihr: „Ich verdamme dich auch nicht. Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“
So ist Jesus. Ich weiß nicht, wo du dich in dieser Geschichte wiederfindest und ob du dich darin wiedererkennst, egal ob du dich siehst wie die Ehebrecherin oder eher wie einer der Ankläger.
Ich hoffe, du erkennst, wie Jesus hier allen gegenüber voller Barmherzigkeit agiert. Er zeigt den Menschen ihre Sünde auf, ohne sie zu verdammen. Er schreit nicht die selbstgerechten Ankläger an: „Was seid ihr für widerliche Heuchler!“ Das tut er nicht. Noch weist er die Frau ab mit den Worten „Weg mit der Hure!“
Nein, sanftmütig und liebevoll sieht er das geknickte Rohr. Er sieht auch die Ankläger, die so blind sind für ihre eigenen Sünden, und überführt sie mit seinen klugen, sanften Worten. Und er sieht die Ehebrecherin und zeigt ihr Barmherzigkeit.
So ist der Herr Jesus.
Einladung zur Begegnung mit dem Gottesknecht
Wenn du heute hier bist und noch nie wirklich zu diesem Gottesknecht gekommen bist, hast du dich ihm vielleicht noch nie wirklich zugewandt. Vielleicht besuchst du diese Gemeinde schon lange und weißt viel über Jesus, aber vielleicht hast du dich ihm noch nie wirklich anvertraut.
Dann höre die Einladung, die wir vorhin schon gelesen haben: Jesus sagt, kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen, denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.
Das ist Jesu Einladung an dich: Bring ihm all deine Sündenlast und alle anderen Lasten auch und erlebe, wie er dich erquicken will. In seiner Sanftmut und Demut nimmt er dir, was dich zerstören will, und er gibt dir Ruhe und Frieden. Er gibt dir all das, wonach sich deine Seele wirklich sehnt.
Komm unter sein Joch und erlebe, dass sein Joch, seine Herrschaft gut ist, dass sein Recht gut ist. Lerne mehr und mehr danach zu leben, nach seinen Geboten, und lerne diesen sanftmütigen, diesen demütigen Gottesknecht besser kennen. Vertraue dich ihm an und folge ihm nach.
Komm weiter und lerne mehr über ihn hier in den Gottesdiensten. Komm mit uns ins Gespräch, damit wir dir helfen können, ihn besser kennenzulernen und zu erleben, wie gut es ist, wirklich in Beziehung mit ihm zu leben. Du hast einen treuen Diener an deiner Seite, der mächtig ist und zugleich sanftmütig und barmherzig.
Lieber Christ, auch du bist eingeladen, immer wieder zu diesem Gottesknecht zu kommen. Wende dich ihm im Gebet zu, bekenne ihm deine Sünden und bring ihm, was dein Herz schwer macht. Bei ihm findest du immer wieder Barmherzigkeit und Hilfe in jeder Not.
So ist der Gottesknecht – ganz anders als alle anderen.
Die Vollendung des Rechts: Unerschütterliche Treue und das Evangelium
Viele Menschen denken, dass Demut, Sanftmut und Barmherzigkeit Zeichen von Schwäche sind. Sie fragen sich, ob einem solchen Gottesknecht überhaupt noch zugetraut wird, etwas zu verkünden. Wird er wirklich das Recht in aller Welt aufrichten können?
Vers 4 beantwortet diese Frage, und das ist der letzte Punkt dieser Predigt:
„Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte, und die Inseln warten auf seine Weisung.“
Hier sehen wir, dass der Gottesknecht seinen Auftrag erfüllen wird. Er bringt das Recht bis an die Enden der Erde. Er wird es auf Erden aufrichten. Dann wird wieder das Wort „die Inseln“ erwähnt. Das klingt zunächst etwas verwirrend, aber es bedeutet die fernliegendsten Orte. Selbst dort warten die Menschen schon darauf, dass er kommt.
Doch wie wird er das tun? Wie wird er das Recht aufrichten? Jesaja verrät uns dies an dieser Stelle noch nicht. Das erklärt er später. Wir dürfen jedoch wissen, dass Jesus Christus dies getan hat – trotz vieler Widerstände. Er war auch wie ein Rohr, das geknickt war und das viele versuchten abzubrechen. Er war auch wie ein glimmender Docht, den viele auslöschen wollten. Doch er ließ sich nicht abhalten.
Jesus ging seinen Weg und verkündete den Menschen das Recht Gottes. Er lehrte sie, was in Gottes Augen wirklich Recht ist. Das haben wir gerade schon in der Textlesung gehört, etwa in Matthäus 12, wo er das falsche Rechtsverständnis der Menschen korrigiert. Die Menschen wollten ihn umbringen, weil er das Recht Gottes brachte.
Aber er brachte das Recht nicht nur durch seine Verkündigung. Er lebte als einer, der dieses Recht in die Welt gebracht hat – in seiner Person. Er allein erfüllte in allem das göttliche Gesetz. An ihm allein hatte Gott der Vater zu allen Zeiten vollkommenen Wohlgefallen. Während die Welt um ihn herum ungerecht war, war er allein gerecht.
Dann ging er ans Kreuz und nahm das Unrecht, die Sünden der Welt, auf sich. Er ertrug die gerechte Strafe dafür. Nicht um sich dienen zu lassen, sondern um uns zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele zu geben, kam dieser Gottesknecht. So bringt er das Recht in diese Welt, indem er das Unrecht der Welt auf sich nimmt.
Er bietet jedem, der sich ihm zuwendet, an, dass seine Gerechtigkeit uns zugerechnet wird. So sind wir im Recht. Erst dann ruft er am Kreuz aus: „Es ist vollbracht.“
Man sieht, dass das Bringen des Rechts Gottes uns letztendlich zum Evangelium führt. Das Recht kommt mit dem Evangelium, denn nur durch das Evangelium können wir unter das Recht Gottes kommen. Sonst bleiben wir immer im Unrecht.
Wenn er unser Unrecht auf sich nimmt, die Strafe bezahlt und uns, weil wir uns ihm anvertrauen, seine Gerechtigkeit zurechnet, stehen wir im Recht. Das Recht kommt zu den Menschen.
Dann zeigt der Vater, dass er nicht zu viel versprochen hat, als er in Vers 1 sagt: „Ihn halte ich.“ Er hält ihn und lässt ihn nicht fallen. Auch der Tod kann diesen Gottesknecht nicht auslöschen oder zerbrechen. Der Vater bringt ihn zurück von den Toten. Am dritten Tage ist er auferstanden.
Bevor der Knecht Gottes, der geliebte Sohn Gottes, zurückkehren darf in die Gegenwart seines Vaters, gibt Jesus seinen Jüngern, denen, die sich ihm anvertrauen, einen Auftrag. Dieser Auftrag lautet, dass wir nun in seinem Namen das Recht Gottes in aller Welt aufrichten sollen.
Wir Christen sind dazu berufen, zu allen Völkern bis an die Enden der Erde zu gehen. Was sollen wir tun? Wir sollen Menschen zu Jüngern machen. Das heißt, wir sollen sie in das Recht Gottes hineinrufen. Wir sollen sie taufen und damit symbolisieren, dass ihre Schuld abgewaschen ist, sie rein sind und im Recht stehen.
Außerdem sollen wir sie lehren, entsprechend dieses Rechts zu leben. Wir sollen ihnen beibringen, alles zu halten, was Jesus uns geboten hat. Wir tun dies, damit sein Werk vollendet wird. Denn der Gottesknecht hat sein Werk noch nicht vollendet. Die frohe Botschaft vom Recht Gottes ist noch nicht an die äußersten Enden der Erde gelangt.
Deshalb gibt Jesus uns das, was der Vater ihm einst gegeben hat. Er gibt allen seinen Nachfolgern den Heiligen Geist, damit wir in der Kraft des Geistes gehen und in seinem Namen seinen Auftrag ausführen können.
Und er ist bei uns. Durch uns richtet er das Recht bis an die Enden der Erde auf.
Leben in der Adventszeit: Warten und Handeln im Geist des Gottesknechts
Nun erleben wir Leben in der Adventszeit, in der Zeit des Wartens – Warten auf die Wiederkunft unseres Herrn. Das ist der Advent, in dem wir leben. Nun stellt sich die Frage: Wie wollen wir diese Zeit nutzen? Was wollen wir in dieser Zeit tun?
Ist es Rückzug, Kerzenlicht und Kekse? Oder lautes Geschrei und Kampf? Oder wollen wir ganz im Sinne des Gottesknechtes zu den Menschen hingehen – in Barmherzigkeit und Sanftmut? Wollen wir hingehen mit der Herzenshaltung Jesu, nicht im Geschrei, nicht besserwisserisch, nicht vom hohen Ross herab? Sondern im Wissen darum, dass wir selbst nur Kinder Gottes sein können und Diener des Allmächtigen, weil er uns in seiner Barmherzigkeit angenommen hat.
Wollen wir weitersagen von dieser Barmherzigkeit? Wollen wir sie zu den Menschen weitertragen? Siehst du, wie du Teil sein kannst von der Erfüllung der Verheißung Gottes aus Jesaja 42?
Dieser Vers möchte uns ermutigen, vielleicht diese kurze Adventszeit im Kirchenjahr zu nutzen, um darüber zu beten und nachzudenken. Darüber, wie Gott uns gebrauchen will in der langen Adventszeit – wie lang auch immer sie sein mag. Darüber nachzudenken, wie der Herr uns in dieser Zeit gebrauchen will, um das Recht zu bringen. Zu allen Völkern bis an die Enden der Erde.
Und dann – dann wird er kommen. Er wird kommen, um zu richten die Lebenden und die Toten, und er wird das Recht Gottes vollkommen aufrichten. Dann, ja dann wird alles Unrecht ein Ende haben. Möge dieser Tag bald kommen, denn nur so – nur so kommt das Recht und die Gerechtigkeit, nach der wir uns wirklich sehnen.
Schlussgebet: Dank und Bitte um Treue und Barmherzigkeit
Ich bete mit uns: Himmlischer Vater, danke für dieses Wort, für die Verheißung vom kommenden Gottesknecht. Herr, wir können uns vorstellen, dass Jesaja selbst nicht genau wusste, von wem und aus welcher Zeit er hier schrieb, als er dieses prophetische Wort weitergab.
Aber danke, dass du es uns offenbart hast und dass du uns den Herrn Jesus Christus gesandt hast, der der Gottesknecht ist. Danke, dass er gekommen ist, voller Barmherzigkeit und Sanftmut.
Danke, dass wir deshalb nicht fliehen müssen – was wir sowieso nicht könnten – sondern zu dir kommen dürfen, als Mühselige und Beladene, und bei dir Ruhe für unsere Seelen finden.
Danke, dass wir durch Jesu Leben und Sterben Gerechtigkeit haben, nicht in uns selbst, sondern von dir zugerechnet. Hilf uns nun, immer mehr in dieser Gerechtigkeit zu wachsen.
Hilf uns, treue Boten zu sein, damit wir Werkzeuge sein dürfen, durch die der Herr Jesus Menschen zu sich ruft – von den Enden der Erde bis zu dem Tag, an dem du kommst.
Amen.