Herr Präsident! Da vorne sind noch ein paar Plätze frei, wir müssen nicht hinten stehen. Wirklich, es sei denn, ihr wollt es wieder so.
Es waren zwei kurze Tage bei euch am Scheideweg. Es war nett, wie auch beim letzten Mal. Es war mein zweites Mal hier. Ich schätze die Arbeit sehr und habe mich wieder sehr wohlgefühlt.
Vor kurzem wollte ich übrigens schöne Grüße nach Friedl ausrichten. Ich habe sie getroffen – die Frau aus Kärnten. Erinnert euch an die Österreicherin, die bei der Konferenz in Kärnten dabei war und ins Gefängnis gegangen ist. Ich habe sie vor drei Wochen bei einer Tagung getroffen, an der ich auch teilgenommen habe. Sie war auch dort. Ich soll liebe Grüße ausrichten.
Einführung in das Thema Gnade und Beziehung
Das Thema für heute Morgen hat mit Gnade und Beziehung zu tun. Ich möchte dazu einen Vers voranstellen, und zwar aus Hebräer 13, einem bekannten Vers. In Vers 8 lesen wir: Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit.
Lasst euch nicht vortreiben durch verschiedenartige und fremde Lehren, denn es ist gut, dass das Herz durch Gnade gefestigt wird. Es ist gut, dass das Herz durch Gnade gefestigt wird. Lasst euch nicht vortreiben durch andere Lehren.
Ich habe vor etwa zwei Jahren ein Buch von Mike Yaconelli gelesen. Im Deutschen heißt es „Gnade ist nicht nur ein Wort“. Aus diesem Buch habe ich einiges entnommen. Es ist eines der besten Bücher, die ich über Gnade gelesen habe.
Im Vorwort dieses Buches schreibt er über einen Freund, der ihm einen Brief geschickt oder ihm etwas erzählt hat. Sein Freund berichtete von einer Prostituierten, die in einem erbärmlichen Zustand zu ihm kam. Sie hatte keine Wohnung, war krank und außerstande, ihre zweijährige Tochter durchzubringen. Unter Weinen erzählte sie, dass sie ihre Tochter zwei Jahre lang Männern mit abartigen sexuellen Praktiken angeboten habe.
In einer Stunde verdiene sie durch die Prostitution ihrer Tochter mehr, als sie selbst in einer ganzen Nacht anschaffen könne. Sie müsse das tun, erklärte sie, weil sie sonst kein Geld für Drogen hätte. Ich ertrug es kaum, die Geschichte anzuhören. Dann fragte ich sie, ob sie je daran gedacht habe, in einer Kirche um Hilfe zu bitten.
Ich werde nie den Ausdruck von purem Schock vergessen, der über ihr Gesicht kam. „Kirche?“, rief sie, „was soll ich denn da? Ich fühle mich sowieso schon schlecht genug. Da würde ich mich nur noch schlechter fühlen.“ So und ähnlich fühlen sich heute viele Menschen aus Randgruppen, wenn man sie auf Kirche anspricht.
Und wisst ihr, was das Erstaunliche ist? Frauen wie diese Prostituierte sind normalerweise zu Jesus hingeflüchtet. Sie haben bei Jesus Schutz gesucht, aber nicht weggelaufen. Die Menschen, Sünder wie diese Frau, fühlten sich von Jesus angezogen.
Meine Frage ist: Warum hat die Kirche heute diese Anziehungskraft verloren? Solche Menschen fühlen sich heute von der Kirche eher abgestoßen und laufen davon. Zu Jesus sind sie hingelaufen. Ich glaube, es geht zurück auf ein Wort, und das heißt Gnade.
Die Bedeutung der Gnade als Unterscheidungsmerkmal des Christentums
Es ist die Gnade, die uns Christen von allen anderen Menschen unterscheiden soll.
Bei einer Konferenz in England vor vielen Jahren wurde über vergleichende Religionswissenschaft debattiert. Die Fachleute fragten sich, was am Christentum einzigartig ist im Vergleich zu allen anderen Religionen. Nach langen Diskussionen kam C. S. Lewis zufällig in den Raum, hörte, worüber sie redeten, und sagte: „Das ist leicht zu beantworten. Was uns unterscheidet, ist Gnade. Gnade.“
Mike Iaconelli schreibt: „Was mich immer getrieben hat, war die Suche nach Gnade. Eine Zeit lang lehnte ich die Kirche ab, weil ich dort so wenig Gnade erlebte. Ich kehrte zur Kirche zurück, weil ich nirgendwo sonst Gnade gefunden habe. Und ich wünsche mir, dass der Dauernhof – das ist der Ort, wo ich bin – ein Ort der Gnade sein kann. Darum bin ich gerne hier, weil ich glaube, dass hier ein Ort der Gnade ist.“
Die Gnade Gottes ist, wenn man darüber nachdenkt, ein Skandal. Den meisten Christen ist das nicht bewusst. Wir verwenden das Wort Gnade, wissen aber nicht, wie brutal Gnade ist. Ich sage es mal so: Gnade ist ein Skandal.
Und wisst ihr, warum Gnade eigentlich ein Skandal ist? Ich werde es euch gleich zeigen. Gnade ist nicht logisch, Gnade ist nicht vernünftig. Und das Schlimmste: Gnade ist nicht gerecht. Gnade ist ungerecht, und das irritiert uns.
Die paradoxe Natur der Gnade in biblischen Geschichten
Im Neuen Testament erzählt Jesus immer wieder Geschichten, um den Charakter seines himmlischen Vaters zu beschreiben. Wenn man über diese Geschichten nachdenkt, fällt auf, dass viele von ihnen jeglicher Logik entbehren. Solche Geschichten hätte ich aus guten Gründen nie erzählt.
Ich denke dabei zum Beispiel an das verlorene Schaf. Wir alle kennen die Geschichte: Hundert Schafe grasen zusammen, doch eines läuft davon, irgendwo in die Hügel. Dann lesen wir, dass der Hirte selbstverständlich die neunundneunzig Schafe zurücklässt und das eine verlorene Schaf sucht. Wisst ihr, welcher Satz mir besonders gefällt? Wie lange er das Schaf sucht, bis er es gefunden hat. Danach nimmt er es auf den Rücken und kommt voller Freude zurück.
Das ist eine nette Geschichte, aber sie entbehrt jeglicher Logik. Wenn ich hundert Schafe hätte und eines davon läuft weg, wisst ihr, was ich tun würde? Und ihr würdet es genauso machen: Ihr würdet auf die neunundneunzig Schafe aufpassen, damit nicht noch eines davonläuft. Gott nicht!
Eine andere Geschichte handelt von Maria und dem wertvollen Öl, das sie über die Füße Jesu gießt – dieses kostbare Nardenöl. Der Preis dieses Öls entsprach einem Jahresgehalt. Judas, der damals der Kassierer der Gruppe war, regte sich darüber auf. Er sagte, es sei eine Katastrophe, denn mit dem Geld könnten wir Arme speisen oder gute Arbeit tun. Die anderen stimmten ihm zu.
Aber wisst ihr, was Jesus dazu sagte? Maria hat großartig gehandelt. Ein Jahresgehalt Öl über meine Füße gegossen – das werden wir nie vergessen. Das ist nicht logisch. Aber wisst ihr, was das mit Gott zu tun hat? Gnade ist etwas, das meine Liebe zu Gott so sehr bestärkt.
Da gibt es noch eine andere Geschichte, Matthäus 20, von den Arbeitern im Weinberg. Ein Bauer sucht Arbeiter für seinen Weinberg. Um sechs Uhr morgens holt er die ersten ab und verspricht ihnen einen Denar Lohn. Alle sagen: wunderbar. Um neun Uhr kommt er erneut und holt die nächsten ab, weil diese später aufgestanden sind. Um zwölf Uhr holt er weitere Arbeiter, die noch später aufstehen. Um drei Uhr kommt er wieder, um diejenigen zu holen, die keine Arbeit gefunden haben. Um fünf Uhr holt er noch einmal Arbeiter ab, die dann nur eine Stunde arbeiten.
Um sechs Uhr abends wird der Lohn bezahlt. Und wisst ihr, was das Erstaunliche ist? Jeder bekommt gleich viel. Freunde, das ist ungerecht. Versucht das mal in eurem Betrieb umzusetzen – der Betrieb würde nicht lange funktionieren. Gnade ist etwas völlig Ungerechtes, und das irritiert uns.
Oder die berühmte Geschichte, die wir alle kennen: die Geschichte von den zwei verlorenen Söhnen, die ich auch die Geschichte vom ungerechten Vater nenne. Der Vater ist ungerecht. Im Lukas 15 kennen die meisten von uns die Geschichte. Ich lese noch ein paar Verse vor, um einen Punkt zu machen.
Im Lukas 15, Vers 11 heißt es: "Ein Mensch hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zusteht." Und der Vater teilte ihnen das Vermögen zu.
Nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen, reiste in ein fernes Land und verschwendete dort sein Vermögen durch ein verschwenderisches Leben. Wir wissen, dass er sein Geld für Partys, Frauen und Alkohol ausgab. Dieser Junge war, wir wissen nicht genau wie lange, Monate oder Jahre, von seinem Vater entfernt.
Was macht der Vater zu Hause, während sein Sohn sein ganzes Vermögen verschleudert? Jemand hat einmal gesagt: Der verlorene Sohn gab sein ganzes Geld für Frauen und Alkohol aus, den Rest hat er verschwendet. Man sagte ihm, er kläre das später.
Doch der Sohn kommt nach Hause, nach Jahren. Der Vater steht jeden Tag auf der Veranda und schaut, ob er seinen Sohn sieht. Jeden Tag wartet er auf diesen verlorenen Sohn. Und als dieser eines Tages kommt – das gefällt mir besonders – lesen wir, dass der Vater ihm entgegenläuft. Das ist übrigens die einzige Stelle in der Bibel, in der Gott läuft. Sonst nie. Hier läuft er dem verlorenen Sohn entgegen.
Er umarmt ihn, macht ein Fest und so weiter. Der ältere Sohn, der zu Hause geblieben ist, jahrelang geschuftet hat und darauf geachtet hat, dass der Hof gut weiterläuft, arbeitet natürlich weiter. Als er hört, dass ein Fest stattfindet, fragt er, warum. Man sagt ihm: "Dein Bruder ist nach Hause gekommen, und dein Vater feiert ein Fest."
Der ältere Sohn wird zornig. Wisst ihr was? Ich kann das gut verstehen. Der ältere Sohn arbeitet brav, jahrelang, vergeudet kein Geld, sorgt dafür, dass der Hof gut läuft und hilft seinem Vater jeden Tag. Doch der Vater hat nie ein Fest gefeiert. Das ist ein bisschen merkwürdig, ich verstehe das nicht ganz an der Geschichte.
Dann kommt der Sohn nach Hause, der alles verschwendet hat, und der Vater feiert ein riesiges Fest, schlachtet das gemästete Kalb. Der ältere Sohn findet das ungerecht. Ich muss euch ehrlich sagen: ich auch.
Die zentrale Botschaft: Gnade als Geschenk und nicht als Verdienst
Wisst ihr, was wir aus all dem lernen können? Das ist die Botschaft: Gnade ist kein Lohn, sondern ein Geschenk. Gnade hat nichts mit Verdienst oder Belohnung zu tun. Du kannst dir Gnade nicht durch brav sein oder tüchtig sein verdienen. Du kannst Gnade nur empfangen.
Du kannst sie nur empfangen, egal ob du ein gewissenhafter und braver Familienvater bist oder jemand, der pornosüchtig ist, homosexuell, ein Dieb oder ein Mörder. Es ist dasselbe: Du kannst Gnade nur empfangen.
Ebenso kannst du Gnade nur empfangen, egal ob du Ehefrau und Mutter bist oder Prostituierte. Vor Gott gibt es keinen Unterschied, denn Gnade kann nur empfangen werden. Als Empfänger der Gnade stehen wir alle gleich da, und das irritiert uns. Das ist Gnade.
Man hat einmal gesagt: Vor dem Kreuz, dem großen Gleichmacher, stehen wir alle gleich da. Und das ist das Besondere daran.
Vor kurzem hörte ich von einem Prediger, der an das Totenbett einer Frau gerufen wurde. Der Sohn hatte angerufen, dass seine Mutter bald stirbt und bereits im Sterben liegt. Der Prediger ging hin, und die Frau war noch ansprechbar. Er fragte sie, ob sie die Vergebung in Christus hat. Sie war sich nicht ganz sicher.
Daraufhin fragte er sie: „Ist dir bewusst, dass du ein Sünder bist und Vergebung brauchst? Ist dir bewusst, dass du Vergebung genauso brauchst wie all die anderen Frauen da draußen, selbst die Prostituierten?“
Die Frau antwortete am Sterbebett: „Vergleichen Sie mich nicht mit diesen Frauen da draußen. Ich habe ein anständiges Leben geführt, ich bin eine anständige Frau.“
Daraufhin stand der Prediger auf und sagte: „Tut mir leid, liebe Frau, dann habe ich für Sie keine Botschaft, denn Jesus ist nur für Sünder gestorben, für sonst niemand.“
Wisst ihr, dass Jesus nicht für Christen gestorben ist? Auch nicht für Hinduisten, nicht für Moslems und nicht für Atheisten. Jesus ist nur für Sünder gestorben und für sonst niemand. Wenn du dich nicht als Sünder erkennst, gibt es für dich keine gute Botschaft.
Das ist die Gnade. Ich treffe immer wieder Menschen, die glauben, sie hätten die Gnade nicht verdient, weil sie kein anständiges Leben führen. Aber das ist der Clou: Du kannst dir Gnade nicht verdienen, du kannst sie nur annehmen und empfangen.
Gott teilt Geschenke aus, Gott bezahlt keinen Lohn.
Es gibt einen Vers, der das verdeutlicht. Ein kleiner Vers, aber sehr wichtig. Ein kleiner Sünder ist das, oder? Doch er wird größer. Das Schönste ist: Wenn du dich als Sünder erkennst, dann gibt es eine gute Botschaft. Das ist das Geheimnis der Gnade.
Im Römer 6,23 lesen wir: „Der Lohn der Sünde ist der Tod.“ Die Sünde bezahlt dir einen Lohn. Das Geschenk Gottes aber ist ewiges Leben. Es ist ein Geschenk. Sünde bezahlt dir einen Lohn, Jesus Christus gibt dir ein Geschenk – und das ist die Gnade.
Gnade versus Religion: Ein grundlegender Unterschied
In der Religion geht es oft um Leistung und Lohn. Es wird genau zusammengerechnet, und am Ende erfolgt eine Abrechnung. Jesus – ich sage das jetzt, ohne es böse zu meinen – kann nicht gut rechnen. Deshalb hat er keine Religion gegründet. Jesus zählt nicht zusammen und macht keine Abrechnung. Stattdessen schenkt er Gnade. Und das ist das Besondere am Leben mit Jesus.
Ich habe vor etwa ein, zwei Jahren irgendwo in Deutschland gepredigt. Dabei waren auch zwei liebe, etwa zwanzig- bis fünfundzwanzigjährige Moslems eingeladen. Ich habe mich gefreut, dass sie kamen. Sie hörten zwei Vorträge, die ich gehalten habe. Nach dem zweiten Vortrag kamen sie auf mich zu und wir haben sicher eine Stunde miteinander gesprochen.
Diese beiden waren nicht nur namens Moslems, sondern gläubige Moslems. Sie haben mir immer wieder eine bestimmte Frage gestellt. Anfangs habe ich sie nicht ganz verstanden, denn ich habe nicht viel mit Moslems zu tun – nur ganz selten, ein- oder zweimal im Jahr. Sie wollten wissen, wie es mit der Erbsünde ist. Ihre Frage war: Erbe ich die Sünden meines Vaters? Werden sie mir zugerechnet?
Zunächst habe ich nicht verstanden, warum ihnen diese Frage so wichtig ist. Doch mit der Zeit, als ich ihnen zuhörte, wurde es mir klar. Es war ihnen wirklich ein Anliegen. Im islamischen Glauben werden alle schlechten Taten zusammengezählt und am Ende abgerechnet. Um vor Allah bestehen zu können, müssen deine guten Taten genau das ausgleichen.
Wenn die guten Taten nur ein bisschen weniger sind, kann Allah barmherzig sein und dir trotzdem vergeben. Aber wenn der Unterschied zu groß ist, gibt es keine Möglichkeit der Vergebung. Nun entsteht ein Problem: Wenn du auch die Sünden deines Vaters erbst, ist die Sollseite sehr hoch belastet. Diese Last kannst du auf der Habenseite nie mehr ausgleichen.
Deshalb war ihnen dieses Thema so wichtig. Das ist Religion: Zusammenrechnen, wie viel ich geschafft habe, und zusammenrechnen, wie viel ich verbrochen habe. Daraus ergibt sich dann die Erlösung. Das ist Religion.
Martin Buber, Jude und Religionsphilosoph, hat gesagt: Nichts verdeckt Gottes Angesicht so sehr wie Religion. Das ist nicht Gott, denn Gott ist gnädig.
Die Kosten der Gnade und das Opfer Gottes
Jetzt wird jemand sagen: Ja, aber Gott ist auch gerecht. Ja, das stimmt. Die Bibel sagt, Gott ist absolut gerecht, und darum gibt es keine billige Gnade. Diesen Satz hat Bonhoeffer geprägt. Es gibt keine billige Gnade, weil Gott sich das Gnadengeschenk alles kosten ließ, nämlich seinen eigenen Sohn.
Dann möchte ich etwas sagen – ich rede sowieso dauernd. Wisst ihr, was ich früher gedacht habe, so als Teenager? Teenager gefallen mir, weil sie sagen, was sie denken. Als Erwachsener überlegt man es sich dann. Ich habe mir dasselbe gedacht, aber ich habe es mir nie zu sagen getraut. Oft habe ich mir gedacht: Ja, Vater, du hast deinen Sohn am Kreuz sterben lassen, das ist ja allerhand. Aber du hast nur deinen Sohn gesandt. Noch mehr wäre gewesen, wenn du selbst gegangen wärst. So habe ich gedacht, so denken manche Teenager.
Und das habe ich gedacht, bis ich Vater wurde. Wenn du Vater wirst, erkennst du das Besondere daran, dass Gott seinen Sohn gab. Ich habe einen Sohn, der Lukas heißt. Wenn ich die Wahl treffen müsste, mich selbst zu töten oder meinen Sohn, dann fällt mir die Wahl nicht schwer. Es würde mir schwerfallen, beides zu tun, aber die Wahl fällt mir nicht schwer. Ich würde zehnmal leichter mich selbst töten als meinen Sohn.
Das heißt: Deinen Sohn zu geben ist mehr, als dich selbst zu geben. Und das hat Gott am Kreuz getan. Wenn dir das nicht genug ist, dann sag Gott: „Tut mir leid, ich habe nicht mehr, mehr habe ich nicht, mehr kann ich nicht bezahlen, ich bin bankrott.“ Er kann nicht mehr für Gnade bezahlen, als er bezahlt hat.
Es gibt einen Film, den möchte ich euch empfehlen. Er heißt „Der letzte Kaiser“. Es geht um den letzten Kaiser von China. Er ist historisch, ich nehme an, relativ akkurat. Der Kaiser wurde in China als eine Gottheit gesehen. In diesem Film wurde der kleine Junge, der drei oder vier Jahre alt war, zum Kaiser gekrönt. Ihm wurden tausend Eunuchen zur Verfügung gestellt, und er lebte völlig abgeschottet in der Verbotenen Stadt.
Dann ist er etwas aufgewachsen, aber er hatte einen Bruder, der draußen ein normales Leben führte. Und dieser Bruder durfte ihn besuchen, weil er sein Bruder war, sein leiblicher Bruder. In diesem Film waren sie dann zumindest neun oder zehn Jahre alt, keine Ahnung, so ungefähr. Der Kaiser wurde herumgetragen, er konnte nicht gehen, er wurde nur getragen. Der Bruder lief neben ihm her.
Dann befragte dieser Bruder den Kaiser: „Wirst du bestraft, wenn du ungehorsam bist?“ Und der Junge, der Kaiser, sagte: „Ja, wenn ich böse bin, dann wird einer meiner Diener dafür bestraft.“ Wenn der Meister böse ist, dann wird der Diener verprügelt.
Und wisst ihr was? Jesus hat diesen Brauch umgekehrt. Wenn der Diener böse ist, dann wird der Meister verprügelt. Und wenn du sündigst, dann ist Jesus am Kreuz dafür geschlagen worden. Das ist die gute Botschaft.
Darum ist es nie eine billige Gnade. Gnade ist ein Geschenk, das dem Geber alles kostet und dem Empfänger gar nichts. Sie darf nur empfangen werden.
Sieh dir an: Es gibt nichts, was du tun könntest, damit Gott dich noch mehr liebt. Und es gibt nichts, was du tun könntest, dass Gott dich nicht mehr liebt. Stimmt das wirklich?
Was, wenn ich jemanden umbringe? Ja, auch dann liebt Gott dich. Was, wenn ich die Ehe gebrochen habe? Ja, auch dann liebt Gott dich. Was, wenn ich jemanden bestohlen oder belogen habe? Auch dann liebt Gott dich.
Wenn du das nicht glaubst, bitte lies die Bibel. Du wirst überrascht sein, welche Menschen Gott liebt.
Die Vielfalt der Menschen in der Gemeinde und die Wirkung der Gnade
Als Paulus das Evangelium in der Stadt Korinth verkündigte, war die Gemeinde dort sehr unruhig und wild. Er predigte achtzehn Monate lang nur ein Thema: Jesus Christus und die Gnade Gottes.
In dieser Zeit entstand eine Gemeinde, deren genaue Größe wir nicht genau kennen, aber es waren etwa fünfzig Gemeindeglieder. Zu dieser Gemeinde gehörten Menschen, die wir im Korintherbrief als Ehebrecher, Prostituierte, Homosexuelle, Diebe, Habgierige, Trinker, Lästerer und Räuber beschrieben finden (1. Korinther 6,9-11).
Eine „Supergemeinde“ also! Das war die Gemeinde Gottes in Korinth – weil Gott sie liebt. Diese Menschen ließen sich berufen, sie wandten sich Jesus zu, empfingen Vergebung und bekamen ein neues Leben.
Das irritiert uns oft. Deshalb sprechen wir viel über Gnade, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir sie wirklich verstanden haben.
Gnade als Grundlage für Beziehung und Versöhnung
Seht ihr, Gnade schafft Beziehung. Wir kennen das auch auf menschlicher Ebene. Angenommen, du hast einen Streit mit deinem Bruder, und man redet dann oft jahrelang nicht mehr miteinander. Ich kenne Familien, die wegen irgendeiner blöden Erbstreitigkeit schon zehn Jahre nicht mehr miteinander sprechen.
Stell dir vor, nach diesen zehn Jahren kommt einer der Brüder zu dem anderen und sagt: „Weißt du was, es tut mir so leid, ich habe völlig falsch gehandelt. Ich möchte dich um Vergebung bitten und dir Gnade anbieten.“ Und weißt du, was dann entsteht? Beziehung. Nur so entsteht Beziehung – durch Vergebung und Gnade. Es ist Vergebung und Gnade, die Beziehung wiederherstellen.
Seht ihr, das Tragischste, das einem Menschen widerfährt, ist nicht, wenn dein Haus abbrennt, wenn du deinen Job verlierst oder deine Gesundheit gefährdet ist. Das Tragischste, das uns passieren kann, ist, wenn Beziehungen zerbrechen. Das schmerzt am meisten. Ehestreit und Scheidung hinterlassen Spuren. Bruderstreit und Zwist bis ans Lebensende, Nachbarstreit – das ist es, was Menschen wirklich zerfrisst.
Denn das Ende einer Beziehung, sagt die Bibel, ist der Tod. Und wisst ihr, was am Anfang der Geschichte geschehen ist? Adam und Eva haben die Beziehung gebrochen, und Gott hat gesagt: „An dem Tag, an dem du von der Frucht isst, wirst du des Todes sterben.“ Er ist nicht sofort gestorben, aber die Beziehung ist zerbrochen, und Beziehungszerbruch ist der Tod.
Jetzt verstehen wir, warum Jesus kam: um Gnade zu geben, damit diese Beziehung wieder vereint werden kann. Das ist Gnade. Gnade bringt wieder Beziehung. Seht ihr, für Gott war dieser Zustand der Trennung unerträglich. Einige von euch kennen das, ich habe gestern mit einigen geredet, die tiefe Schmerzen haben, weil eine Beziehung zerbrochen ist.
Eine Beziehung zerbricht immer entweder durch Tod oder durch Sünde. Der Tod kann dir eine Person nehmen, oder Sünde trennt zwei Personen. Und das ist der Tod. Für Gott war das unerträglich, weil Gott Menschen zum Gegenüber gemacht hat, um Gemeinschaft mit ihm zu haben, mit ihm reden und ihn lieben zu können. Darum bietet Gott Gnade an und sagt: „Kommt wieder zurück zu mir.“
Wisst ihr, was das Erste ist, was Gott gesagt hat nach dem Sündenfall? „Mensch, wo bist du? Komm doch zu mir! Wo bist du, Mensch?“ Gnade und Vergebung stellen diese Beziehung wieder her. Das ist etwas Wunderbares.
Ich stelle immer wieder fest, dass viele Menschen das nicht wissen. Wir reden als Christen von Beziehung, aber wir leben sie nicht. Viele Christen versuchen immer noch, Gott zufriedenzustellen, Punkte zu sammeln, damit sie endlich vor Gott gut genug sind. Freunde, das ist Religion, das ist keine Liebesbeziehung.
Jeremia 31,3 ist ein schöner Vers: „Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“ Ich habe dich je und je geliebt. Jesus liebt uns. Das ist die größte Wahrheit.
Karl Barth, ein Theologe, der so viele Bücher geschrieben hat, dass man in seinem Zimmer kaum Platz hatte, wurde einmal gefragt: „Herr Barth, was ist das Größte, was Sie in Ihrem Leben entdeckt haben, als Theologe, als alter Mann?“ Er antwortete: „Das Größte, was es gibt, ist…“ Im Englischen gibt es ein Lied: Jesus liebt mich, this I know, because the Bible tells me so. Jesus liebt mich, das weiß ich gewiss, weil er es so sagt.
Es gibt keine tiefere Wahrheit. Und diese Wahrheit muss in unser Herz eindringen.
Persönliche Erfahrungen mit der Gnade Gottes
Denn seht, ich möchte euch zum Abschluss noch sagen, was Gnade in meinem Leben bewirkt hat. Als ich verstanden habe – wenn ich sage verstanden, dann meine ich, ich habe noch nicht viel verstanden, aber ich habe mehr verstanden als vorher – dass Gott mich einfach liebt und gerne hat.
Übrigens, wissen Sie, dass die meisten Christen glauben, dass Gott sie liebt, aber viele nicht glauben, dass Gott sie gerne hat? Ich denke, ja, lieben muss er mich ja, der hat es ja gesagt, aber gern haben kann er mich nicht, so wie ich bin. Das ist eine Lüge.
Als ich entdeckte, dass Gott mich gerne hat – nicht trotz meiner Fehler, sondern mit meinen Fehlern –, wisst ihr, was das bei mir bewirkt hat? Es hat mich zu ihm getrieben. Ich habe mich so wohl gefühlt in seiner Nähe. Es ist mir eine Freude geworden, mit Jesus zu reden. Keine religiöse Pflicht mehr, damit er mit mir zufrieden ist. Nein, ich wusste, er hat mich gerne, und darum bin ich gerne bei ihm.
Darum fällt es mir nicht schwer, sein Wort zu lesen, weil ich gerne von ihm lernen möchte. Die Gnade hat mich in die Nähe Gottes getrieben, und ich habe angefangen, Gott zu lieben.
Wisst ihr was? Viele Christen glauben an Gott, aber sie lieben ihn nicht. Das größte Gebot heißt nicht: Du sollst an Gott glauben. Das größte Gebot heißt: Du sollst Gott lieben. Das ist ein großer Unterschied. Es geht nicht darum, an jemanden zu glauben, sondern darum, in der Beziehung jemanden zu lieben.
Wisst ihr, was Gnade noch in meinem Leben bewirkt hat? Ich habe begonnen, andere Menschen gerne zu haben und zu lieben. Denn ich schaue einen Menschen an, egal ob alt oder jung, ob Knasti oder Bankdirektor – das sind auch Knastis, es ist völlig egal, wer da steht. Eins weiß ich über den Menschen, den ich anschaue: Gott liebt ihn. Und weil ich weiß, dass Gott ihn genauso liebt wie mich, hat mir das geholfen, diese Menschen zu lieben.
Das ist nicht der Volltrottel oder der Heini, das ist ein von Gott geliebter Mensch. Es hat Gnade bei mir bewirkt.
Und noch eins: Gnade hat bei mir bewirkt, dass ich begonnen habe, mich selbst zu lieben und anzunehmen, so wie ich bin. Weil ich wusste, dass Gott mich gerne hat und liebt, konnte ich anfangen, mich selbst anzunehmen und zu lieben, so wie ich eben bin – ohne zu versuchen, anders zu sein, ohne mich vergleichen zu müssen.
Das tue ich immer noch, es ist immer nur Stückwerk. Aber es hat mich in diese Richtung gebracht, und ich bin so dankbar dafür.
Also, was hat Gnade in meinem Leben bewirkt? Sie hat mir geholfen, Gott zu lieben. Sie hat mir geholfen, meinen Nächsten zu lieben. Sie hat mir geholfen, mich selbst zu lieben. Und das ist die Erfüllung des größten Gebots.
Das geht aber nur durch Gnade, nie durch Religion. Und darum bin ich so gerne Christ.
Gebet und Abschlussgedanken zur Gnade
Ich bete noch, lieber Vater. Welche wunderbare Wahrheit ist es doch, eine universelle, ewige und absolute Wahrheit: Du bist ein gnädiger Gott. Gnade kann man nicht verdienen, sondern nur empfangen – ganz gleich, von welcher Stufe des Lebens wir ausgehen oder in welchem Zustand wir uns befinden. Wir können Gnade nur empfangen.
Einerseits irritiert uns das, weil wir es von Menschen nicht gewohnt sind. Andererseits befreit es uns, weil wir aufhören müssen, etwas zu beweisen. Stattdessen dürfen wir uns fallen lassen in deine liebenden Hände.
Ich danke dir, lieber Herr, dass du mich liebst und mich gerne hast. Ich danke dir, dass du bei mir bist und bleibst bis in Ewigkeit. Ich danke dir, dass ich geborgen sein darf in deiner Liebe und Gnade. Und danke, dass du die Wahrheit bist. Du bist kein Lügner, und was du gesagt hast, das stimmt.
Danke, Herr, dass du auch mich und diese Lieben hier gesucht hast, bis du sie gefunden hast. So wollen wir zunehmend dich suchen und finden, so wie du wirklich bist.
Danke, lieber Herr, für dieses Wochenende. Danke für all die Lieben hier. Segne sie und mach sie zum Segen.
In Jesu Namen, Amen.
Klärung des Unterschieds zwischen Selbstliebe und Egoismus
Das ist eine sehr gute Frage, danke dafür. Das Problem ist, dass wir Selbstliebe oft mit Egoismus verwechseln. Biblisch betrachtet ist es jedoch etwas völlig anderes.
Egoismus bezeichnet die Bibel als Selbstsucht. So heißt es in 2. Timotheus 3, dass sie selbstsüchtig sein werden. Jede Sucht ist zerstörerisch, egal welche – auch Selbstsucht. Das ist der Egoismus. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von der Egofalle.
Dann gehst du von einem Wellnesswochenende zum nächsten, und bleibst dennoch innerlich leer. Das ist Egoismus.
Selbstliebe bedeutet, laut Epheser 5, dass man seine Frau lieben soll wie seinen eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, der liebt sich selbst. Niemand hat je sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es.
Was ist die Definition von Liebe? Wenn ich hundert Christen frage, was Liebe ist, bekomme ich vielleicht eine Antwort. Wir reden viel über Liebe, wissen aber oft nicht, was sie wirklich bedeutet. Wisst ihr, was Liebe ist? Liebe heißt, sich selbst zu nähren und zu pflegen.
Sich selbst nähren bedeutet, dass ich wachse und reife – an Körper, Seele und Geist. Es bedeutet auch, dass ich mich beschütze. Das ist Selbstliebe.
Wenn ich im Egoismus schmutzige Literatur lese, hasse ich mich selbst, weil ich mich nicht beschütze. Du liebst dich nur dann selbst, wenn du dich beschützt. Ansonsten hasst du dich selbst.
Wenn du Pornografie konsumierst, ist das ein Zeichen dafür, dass du dich nicht liebst, denn du zerstörst dich selbst.
Sieh, das ist Selbstliebe: Du beschützt dich selbst und pflegst dich. Und jetzt weißt du auch, wie du eine Frau lieben sollst. Du sollst sie pflegen, das heißt, ihr alle Möglichkeiten geben, an Körper, Seele und Geist zu reifen, und sie beschützen.
Das ist Selbstliebe und Nächstenliebe – nicht zu verwechseln mit Selbstsucht. Selbstsucht ist zerstörerisch.
Ein langes Thema, aber das nur kurz dazu.
