Glaubensschule

Konrad Eißler
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Was helfen alle Schulen dieser Welt, wenn sie diesen Satz nicht lehren: “Ich glaube an Jesus Christus”? Wie ein königlicher Hofbeamter die Grund-, die Haupt- und die Hochschule des Glaubens durchläuft, zeigt Konrad Eißler in der seiner Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart.


Was hat dieser Mann alles gelernt, bis er Beamter werden konnte, liebe Gemeinde? Ganz sicher hat er die Hofschule besucht, die nur wenigen vorbehalten blieb. Die meisten junge Leute hatten nur die Wahl zwischen Viehhirt oder Eselstreiber, und dazu brauchte es keine Schulbildung. Ein wuchtiger Schlag mit dem Treibstock war die einzige Handschrift, die sie schrieben. Er aber ging zur Hofschule.

Was hat dieser Mann nicht alles gepaukt, bis er Minister werden konnte? Ganz sicher hat er die Militärschule besucht, die jeder politische Aufsteiger durchlaufen musste. Die andern jungen Leute waren vom Kommiss verschont und konnten den Drill nur vom Zusehen, wenn Unteroffiziere die Rekruten auf dem Kasernenhof schliffen. Der ging zur Militärschule.

Was hat dieser Mann nicht alles studiert, bis er ein Königlicher, ein Spitzenfunktionär ein ganz hohes Tier war? Ganz sicher hat er die Diplomatenschule besucht, die nach römischem Vorbild ihre Absolventen mit allen Wassern gewaschen hat. Denn solch ein Landesfürst wie dieser Herodes, der seine Anvertraute in die Wüste schickte, um sich die Frau seines Bruders anzulachen, der den Scharfrichter in Marsch setzte, um einen unschuldigen Bußprediger enthaupten zu lassen, der in Rom antichambrierte, um für seine Mätresse eine Krone zu erbetteln, ein solcher Landesvater braucht wendige, geschmeidige, aalglatte, katzenbuckelnde Staatsbeamte. Mit Bestimmtheit hat er die Diplomatenschule besucht.

Eine Schule jedoch hat er nicht besucht, obwohl sie grundlegend gewesen wäre. Eine Schule hat er nicht durchlaufen, obwohl sie besonders wichtig gewesen wäre. Eine Schule hat er nicht absolviert, obwohl sie alles entscheidend gewesen wäre. Die Glaubensschule fehlt auf seiner Karriereleiter. Nie tauchte das Fach “Glauben” auf seiner Stundentafel auf. In Sachen Glauben war der Hofbeamter ein Analphabet. Johannes hält dies für eine verheerende Bildungslücke, denn 98-mal weist er mit dem Zeitwort “glauben” daraufhin, dass Glaube ein Weg ist, der gegangen sein will, dass Glaube eine Aufgabe ist, die bewältigt sein will, dass Glaube eine Schule ist, die besucht sein will.

Mag sein, dass der eine oder andere von einer Sekunde zur andern zum Glauben kommt, so wie Saulus vor Damaskus, der sich in Sekundenschnelle zum Paulus bekehrte, aber das Normale ist das nicht. Die meisten müssen in die Grundschule des Glaubens eingeschult werden, dann in der Hauptschule des Glaubens die Schulbank drücken und schließlich auf der Hochschule des Glaubens gründlich studieren, so wie der namenlose Herr Ministerialrat, der vielen Leuten vorgesetzt war, nun aber selber nachsitzen musste. Was helfen Hofschulen, Militärschulen, Diplomatenschulen, was helfen alle Schulen dieser Welt, wenn sie diesen Satz nicht lehren: “Ich glaube, dass Jesus Christus wahrhaftiger Gott, von Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels.” Das ist der Lernstoff der Glaubensschule und die beginnt jetzt für den königlichen Nachzügler mit der

1. Grundschule des Glaubens

Sein Sohn wurde nämlich krank, genauer: das Söhnchen, das Vatersöhnchen, das Muttersöhnchen, kurzum: das Herzenssöhnchen stolzer Eltern.

Normalerweise ist das kein schwerwiegendes Familienproblem. Söhnchen, auch Töchterchen, werden öfters krank und hängen herum. Wenn klar ist, dass es wirklich Fieber und nicht nur Angst vor der nächsten Mathe- oder Englischarbeit ist, dann kommen sie für zwei Tage ins Bett und müssen schwitzen. Anschließend ist der Krankheitsfall vergessen.

Damals war es schlimmer. Das Söhnchen siechte dahin. Man holte den Leibarzt, man lief zur Hofapotheke, man versuchte verschiedene Kuren, alles vergebens. “Ein Mensch, berührt von den Fingern des Todes”, schrieb der Dichter Leonhard Frank: “Ein Blick, in dem nicht einmal mehr die Kraft eines Blickes innewohnte, tiefernst, fatalistisch und gefasst zugleich.”

Und in dieser dunklen Stunde wurde dem gebrochenen Vater von Jesus gesagt. Drüben in Kana sei wieder jener Wanderprediger aufgetaucht, der als einziger helfen könne. Ohne diesen Heiland gebe es keine Heilung. Der Mann zögert. Seine Vernunft sagt ihm, dass man auf Medizin setzen müsse und nicht auf undurchsichtige Quacksalberei. Der Mann überlegt. Sein Zweifel sagt ihm, dass man nur seriöse Doktoren konsultieren müsse und keinen Dr. Eisenbart. Der Mann ist hin- und hergerissen. Sein Stolz sagt ihm, dass man als Mann vom Hof seinen ärztlichen Rat nicht beim Zimmermann holt. Trotzdem steht der Mann auf. Trotzdem geht der Mann hin. Trotzdem legt der Mann den 26 km langen Fußmarsch von Kapernaum nach Kana zurück, um diesen Jesus zu treffen. Trotz Vernunft Glauben wagen, trotz Zweifel Glauben wagen, trotz Stolz Glauben wagen, diese Lektion hat er auf der Grundschule des Glaubens gelernt.

Viele von uns sind auch in diese harte Schule genommen. Der eine bangt um seine Frau. Der andere sorgt um seine Mutter. Der dritte denkt an seine persönliche Not: eine kranke Ehe, eine krankes Geschäft, eine kranke Beziehung. Unsere Welt ist eine große Klinik und jeder hat seinen Patienten darin. Unsere Stadt ist ein großes Lazarett und jeder weiß um einen Leidenden. Unsere Kirche ist ein großes Spital und viele liegen selbst darnieder. Aber diese Krankenhäuser wollen zu Schulhäusern werden. Hier wird uns von Jesus gesagt. “Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.” Ohne diesen Heiland gibt es keine Heilung. Zögern wir auch?

Unsere Vernunft sagt, dass man nur auf wissenschaft­liche Erkenntnisse bauen könne. Überlegen wir auch? Unsere Zweifel sagt, dass man bei Wundermännern nicht vorsichtig genug sein könne. Sind wir auch hin- und hergerissen? Unser Stolz sagt uns, dass man sein Gesicht nicht verlieren dürfe. Tun Sie es dem königlichen Hofbeamten gleich! Stehen Sie auf! Gehen Sie hin! Legen Sie den Weg zu Jesus im Gebet zurück! “Sich aus der Welt der Angst aufmachen und zum Vater gehen”, hat von Bodelschwingh diesen Schritt beschrieben. Nicht einmal die Krankheit zum Tode, nämlich die Schuld, kann uns hindern, es mit diesem Weg zu versuchen. Glauben wagen, das ist die Lektion der Grundschule des Glaubens. Nun kommt er in die

2. Hauptschule des Glaubens

Der Königliche ist nach fünfstündigem Fußmarsch dort angekommen. Endlich steht er vor dem vielgerühmten Nazarener, der damals schon mit seinem Weinwunder für viel Furore im Flecken gesorgt hat. “Komm herab und hilf meinem Sohn.” Jesus hört sich die Bitte an, aber seine Antwort trifft den Bittsteller wie eine kalte Dusche. “Wenn ihr nicht Zeichen seht, glaubt ihr nicht. Wenn ihr nicht Wunder seht, glaubt ihr nicht. Wenn ihr nicht Wunderheilungen vorgesetzt bekommt, glaubt ihr nicht an mein Heil.”

Müsste der Hofbeamte nicht auf der Stelle kehrt machen und sich fragen: “Ist das der Seelsorger, der sich um die Seele sorgt? Ist das der Heiland, der die Leute heilt? Ist das der Sohn Gottes?” Aber der Mann bleibt stehen und bittet erneut: “Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt.” Und Jesus antwortet: “Geh hin, dein Sohn lebt.”

Müsste der Hofbeamte nicht endgültig resignier­en und sich sagen: Ist das der Krankenbesuch, nur ein Wort? Ist das die Handauflegung, nur ein Wörtchen? Ist das die Medizin, nur ein Sterbenswörtchen?

In der Hauptschule des Glaubens werden diese Fragen durchlitten. Wir sagen ihm auch: Komm herab und hilf meinem Sohn, meiner Tochter, meinem Mann, meiner Frau, meinem Vater, meiner Mutter. Jesus hört alle Bitten, aber seine Antwort ist die gleiche geblieben: Wenn ihr nur Zeichen sehen wollt, wie Lahme aus den Rollstühlen aufspringen, seht ihr nichts. Wenn ihr nur Wunder erleben wollt, wie Langzeitkranke auf der Bühne herumspringen, erlebt ihr nichts. Wenn ihr nur Heilungen im Auge habt, die unter Flutlicht zum Medienspektakel ausufern, geht ihr an meinem Heil vorüber. “Wunderglaube ist viel schlimmer als Unglaube”, hat Hermann Bezzel gesagt.

Müssten wir auch fragen: Ist das der Seelsorger, der für die Seele sorgt? Ist das der Heiland, der die Leute heilt? Ist das der Sohn Gottes? Aber vielleicht bleiben wir ebenfalls stehen und bitten erneut: Herr, komm herab, eh mein Liebstes stirbt. Und Jesus antwortet: Geh hin! Müssen wir nicht endgültig resignieren: Nur ein Wort? Nur ein Wörtlein? Nur ein Sterbenswörtlein?

Der Königliche resigniert nicht. Der Mann glaubte dem Wort und ging hin. In der Hauptschule des Glaubens lernte er Glauben üben. So wie Abraham, der ohne Pfand einfach hinging. So wie Mose, der ohne Beweis einfach losmarschierte. So wie viele nach ihnen sich auf den Weg des Glaubens machten, denn, und so sagt es Paulus: “Es ist der Glaube eine feste Zuver­sicht auf das, was man hofft und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.”

Jetzt sind Sie dran. Gehen Sie hin! Fassen Sie neu Hoffnung! Glauben Sie diesem Jesus wieder aufs Wort! Auch wenn Sie auf die Erfüllung warten müssen. Jener Vater musste auch lange warten. Erst nach einem Tag und einer Nacht bekam er die Bestätigung, dass sein Sohn lebt. 24 Stunden dauerte es vom Glauben zum Schauen.

Es kann sein, dass es bei Ihnen länger dauert. Es kann sein, dass Sie 24 Tage oder 24 Monate warten müssen. Es kann sogar sein, dass Ihnen 24 Jahre auferlegt sind. Aber liebe Freunde, selbst wenn es 24 Jahrhunderte wären: 1000 Jahre sind vor ihm wie ein Tag. Es kommt der Tag, an dem Sie mit Ihren Augen sehen werden: Der Sohn lebt, die Tochter lebt, die Mutter lebt, die Ehe lebt, ein Todgeweihter lebt. Jesus ist der Garant dafür. “Jesus lebt, mit ihm auch ich, Tod, wo sind nun deine Schrecken!” Er kann helfen und heilen, mehr: Er kann retten und erlösen, mehr: Er kann Leben und Seligkeit schenken.

Glauben üben, das ist die Lektion der Hauptschule des Glaubens. Damit ist aber nicht alles gelernt. Er kommt noch auf die

3. Hochschule des Glaubens

Zuhause angekommen, flog ihm das gesunde Bürschlein an den Hals. Der Mutter flössen Tränen der Dankbarkeit über die Wangen. Das ganze Haus war in Feststimmung versetzt: “Lobe den Herren meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat; der dir deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst.” Aber dann war ja der Werktag wieder da. Die Höflinge buckelten, die Mätressen schmeichelten, der gerissene Herodes leimte seine Gegner weiter. Konnte er anders leben? Musste er nicht seine alte Tour fahren? War er nicht gezwungen, Jesu Wort so zu ergänzen: “Rufe mich an in der Not, dann kannst du mich wieder vergessen?” Jesus als Notarzt, gut, Jesus als Krisenmanager, gut, Jesus als Mohr, der seine Schuldigkeit getan und wieder gehen kann, gut, aber Jesus als Herr und Heiland des ganzen Lebens?

Der Königliche wollte das. Sein Werktag sollte eine neue Perspektive bekommen. “Er glaubte mit seinem ganzen Haus.” Wenn er morgens seinen Terminkalender überflog, wusste er: “Meine Zeit steht in deinen Händen.” Wenn er vormittags wichtige Entscheidungen treffen musste, sagte er: “Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.” Wenn er nachmittags Katastrophen­meldungen zu Ohren bekam, las er: “Ich bin bei euch alle Tage.” Wenn er abends den Tag überdachte, betete er: “Herr, sei mir gnädig und tilge meine Sünde.” Der Palast wurde ihm zur Hochschule des Glaubens, wo er Glauben lebte.

Sie leben in keinem Palast. Aber wissen Sie, dass das Geschäftshaus, in dem Sie tätig sind, dass diese Vierzimmerwohnung, diese Firma, in der sie arbeiten, dass diese Vierzimmerwohnung, in der Sie wohnen, Ihre Hochschule ist? Dort bleiben Sie ewiger Student. Als altes Semester sitzen wir immer noch dort. Glauben leben ist ein lebenslanges Studium - Gott sei Dank. Denn dann werde ich auch nie exmatrikuliert, sondern bleibe Studiosus zu seinen Füßen, in seiner Nähe, unter seiner Aufsicht.

Ich lade Sie zu diesem Glaubensstudium ein. Die Taufurkunde gilt als Abitur. Einen Numerus clausus gibt es dort nicht. Ihr Studienplatz steht bereit. Denn wer Glauben wagt, Glauben übt, der muss auch Glauben leben. Ich freue mich über jeden Kommilitonen.

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]