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Christus ist mein Leben

Philipper 1,15-21
Was regt mich an? Was treibt mich um? Was füllt mich aus? Was ist mein Leben? Paulus sagt: Christus ist mein Leben. Und Konrad Eißler folgert daraus: So wird der heutige Tag mein Chance, der morgige Tag mein Glück und der letzte Tag mein Gewinn. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]

Was regt mich an? Was treibt mich um? Was füllt mich aus? Was ist mein Leben?

Einer sagt: Musik, nichts als Musik. Schon zum Aufwach­en brauche ich heißen Kaffee und heiße Hits. Auf dem Weg zur Arbeit ist der Walkman mein treuster Begleiter geworden. Im Betrieb hat der Meister klugerweise das Radiohören erlaubt, denn "mit Musik geht alles besser, mit Musik wird alles gut." Abends dauert die Concerttime mit meinen neuen Discs bis weit nach Mitternacht. Und am Wochenende toure ich zu den Auftritten der Stars. Musik regt mich an. Musik treibt mich um. Musik füllt mich aus. Musik ist mein Leben.

Ein anderer sagt: Sport, nichts als Sport. Schon als Bub kickte ich in jeder freien Minute auf dem Hof herum. Später war ich Libero in der Schulmannschaft und Ersatzmann im Verein. Als ich mich nicht mehr so plagen wollte, verlegte ich mich auf Tennis. Heute habe ich auch den Schläger aus der Hand gelegt, aber als Zuschauer bin ich noch aktiv, im Stadion, in der Halle, am Fernseher. Von Fußball und Handball und Tennis kam ich überhaupt nicht genug kriegen. Sport regt mich an. Sport treibt mich um. Sport füllt mich aus. Sport ist mein Leben.

Ein dritter sagt: Wandern, nichts als Wandern. Schon mein Vater war ein Wandersmann. Zuhause hält mich nichts. Ich muss hinaus in die frische Luft. Wanderblut fließt durch meine Adern. Sonntags streife ich durch den Schönbuch oder über die Alb. An den verlängerten Wochenenden bin ich irgendwo in den Bergen, in der Schweiz oder in Österreich. Und im Urlaub gehe ich hoch hinaus, Tracking in den Karpaten, in den Anden oder gar im Himalajagebiet. Je weiter, je schöner, je höher, je besser. Wandern regt mich an. Wandern treibt mich um. Wandern füllt mich aus. Wandern ist mein Leben.

Und ein Vierter sagt: Fliegen ist mein Leben. Und ein Fünfter sagt: Lesen ist mein Leben. Und ein Sechster sagt: Essen ist mein Leben. Und Paulus sagt etwas ganz anderes. Seine Gedanken gehen in eine völlig andere Richtung. Ihm steht Überhaupt keine Sache, sondern eine Person vor Augen. Dieser Apostel sagt: Christus, nichts als Christus. Schon als Theologiestudent beschäftigte ich mich mit ihm. Damals mobilisierte er als Feindbild meinen totalen Widerstand. Ich wollte seinen Namen annullieren und seine Person liquidieren. Deshalb jagte ich mit höchstrichterlichem Haftbefehlen durch das Land. Aber vor Damaskus wurde ich vom hohen Ross gestürzt und wieder auf den Boden der Tatsachen gestellt. Wie ein umgedrehter Handschuh zog ich meine Straße, direkt zu den Christen nach Antiochia. Dort wurde ich vom Geist Christi so gepackt, dass ich meine Siebensachen packte und als Missionar losgezogen bin, nach Kleinasien und Griechenland. Nicht immer klebte das Glück an meinen Stiefeln. Keineswegs marschierte ich nur mit Rückenwind. Ich bekam Ärger, bösen Ärger. In jenem Flecken zeigten sie mir die kalte Schulter. In jener Stadt warfen sie mich hoch­kant zum Tor hinaus. In jenem Arrest legten sie mich in den Stock. Aber in jedem Augenblick war die Kraft Christi so stark, dass ich keine Sekunde schwach wurde. Und die Liebe Christi bewahrte mich vor unbedachten Reaktionen, die nur Schlimmeres heraufbeschworen hätten. Und die Hoffnung Christi schenkte mir auch im tiefsten Loch genug Licht und Zuversicht. Christus regt mich an. Christus treibt mich um. Christus füllt mich aus. Christus ist mein Leben.

Liebe Freunde, nichts gegen Musik; sie bereichert uns. Nichts gegen Sport; er kräftigt uns. Nichts gegen Wandern; das entspannt uns. Aber es ist noch einmal etwas ganz anderes, wenn dies alles die schönste Nebensache der Welt bleibt und die Hauptsache zur Hauptsache wird, nämlich: Christus ist mein Leben. Für den Völkerapostel bedeutete dies ein Dreifaches.

1. Der heutige Tag ist meine Chance

Die Akte Paulus lag beim kai­serlichen Appellationsgericht auf der langen Bank. Kein Hahn krähte mehr nach diesem Juden mit römischer Staatsbürgerschaft. Seit seiner Überstellung nach Rom stand er irgendwo in einer Mansarde unter Hausarrest. Aber nach zwei Jahren griffen die Behörden zu. Paulus wurde aus seiner Wohnung gezerrt, in die große Polizeikaserne geschleppt und dort hinter Schloss und Riegel gesetzt. Der zuständige Richter ordnete noch verschärfte Haftbedingungen an und ließ den Untersuchungsgefangenen an einen Wachsoldaten ketten, der jeweils für ein paar Dienststunden mit ihm die Zelle teilte. Was für eine Verschärfung der Lage! Was für eine Wendung zum Schlimmen! Was für ein dies ater, was für ein schwarzer Tag, der über die Weltmission hereinbrach! Und der sagte nicht: Das ist meine Not. Und der klagte nicht: Das ist mein Schmerz. Und der verzweifelte nicht: Das ist mein Ende. Paulus schreibt: "Der heutige Tag ist meine Chance. An diese Militärs komme ich sonst gar nicht heran. Jetzt sind sie sogar an mich gekettet und müssen mir zuhören, wenn ich ihnen von Jesus erzähle. Aus dieser Missionsstunde kann keiner davonlaufen. Natürlich ist die Mehrzahl noch lange nicht zum Glauben gekommen, aber alle sind stutzig geworden. Stutzig über Christus. Das ist schon etwas. Das Weitere liegt in seiner Hand. Selbst diese miserable Gegebenheit ist eine missionarische Gelegenheit. Ich trage meine Fesseln für Christus."

Selbst diese miserable Gegebenheit ist eine missionarische Gelegenheit.

Liebe Freunde, es muss gar nicht das Prätorium in Rom sein, um diese Chance zu ergreifen. Ich denke an die Krebsstation eines Krankenhauses. Eine junge Frau wird einge­liefert, nachdem sich der Verdacht erhärtet hat. Was für ein dies ater, was für ein schwarzer Tag, der über diese Mutter hereinbrach. Und die sagt nicht: Das ist mein Ende, sondern: Das ist meine Chance. An diese Mitpatienten komme ich sonst gar nicht heran. Jetzt sind wir an die gleiche Not gekettet. Sie müssen doch aufmerken, wenn ich ihnen vom Heiland erzähle. Selbst diese böse Gegebenheit ist eine gute Gelegenheit. Ich trage meine Krankheit für Christus. Oder ich denke an eine Rollstuhlabteilung in einer Anstalt. Ein junger Mann wird gebracht, der nach einem Motorradunfall querschnittsge­lähmt ist. Was für ein dies ater, was für ein schwarzer Tag für dieses aufblühende Leben? Und der sagt nicht: Das ist meine Not, sondern: Das ist meine Chance. An diese Rollstuhlfahrer komme ich sonst gar nicht heran. Jetzt sind sie mit den gleichen Gurten fest­ gezurrt. Sie müssen doch aufpassen, wenn ich ihnen vom Tröster erzähle. Selbst diese schwere Gegebenheit ist eine günstige Gelegenheit. Ich trage meine Behinderung für Christus. Es gibt gar keinen schwarzen Tag mehr, an dem nicht der Geschlagene sagen könnte: Ich trage meine Schläge für Christus!, an dem nicht der Gebeutelte sagen könnte: Ich trage meine Schmerzen für Christus!, an dem nicht der Verzweifelte sagen könnte: Ich trage meine Verzweiflungen für Christus! Jede Leidensstation kann eine Missonsstation werden. Weil die Fundamente der Kirche in den Katakomben liegen, wie Dostojewski richtig gesagt hat, liegen die Pfeiler der Heiligen in den Gefängnissen und die Stützen der Christen in den Tiefen der Not. Auch der heutige Tag, mitsamt seinen Bedrückungen und Belastungen, will zu meiner Chance werden, wenn Christus mein Leben ist.

2. Der morgige Tag ist mein Glück

Nachtstunden im Gefängnis sind lang. Die Gedanken werden zu Windhunden, die in alle Richtungen jagen. Paulus dachte an morgen. Vor ihm stand seine Gemeinde. Er hatte von Predigern gehört, die sich darüber ins Fäustchen lachten, dass dieser unbequeme Apostel und vielgerühmte Starprediger aus dem Verkehr gezogen wurde und auf Nummer Sicher gesetzt. Nun konnten sie doch ihr eigenes, frommes Süppchen kochen und sich selbst ins rechte Licht setzen. Wie wird es bei so viel Neid und Eifersüchteleien ausgehen? Vor ihm stand seine Gesundheit. Er hatte schon lang diesen Schmerz im Kreuz, der gar nicht nachlassen wollte. Es gab bisher weder eine Diagnose, geschweige denn eine Therapie, die ihm Linderung verschafft hätte. Wie wird es bei so viel Druck und Schwachheit ausgehen? Vor ihm stand sein Prozess. Er hatte nicht das gute Gefühl, dass dies auf jeden Fall in einem Freispruch enden wird. Zu viele vor ihm sind in die Arena getrieben worden und von den Löw­en zerfleischt. Wie wird es bei so viel Anklagepunkten ausgehen? Und Paulus denkt nicht: Das wird schon werden. Die Gemeinde kommt wieder ins Lot. Die Gesundheit wird sich stabilisieren. Der Prozess nimmt ein gutes Ende. Nein, Paulus denkt anders: Es wird nicht alles nach meinem Wunsch, aber nach seinem Heil ausgehen. Es wird nicht alles nach meinem Kopf, aber nach seinem Willen weitergehen. Es wird nicht alles gut, aber es wird alles heil werden. Der Todeskandidat bekommt keine Garantie für ein schmerzfreies Leben in Freiheit, aber die Gewissheit: Der morgige Tag ist mein Glück, Rückkehr oder Verbannung, Krankheit oder Gesundheit, Freispruch oder Todesurteil. "Es kann mir nichts geschehen, als was er hat ersehen und was mir nützlich ist." Auf jeden Fall wird es zum Heil ausgehen.

Wir hätten es gerne schriftlich, dass das umbetete Kirchenschifflein auf keinen Fall im stürmischen Gewässer kentert. Wir hätten es gerne schwarz auf weiß, dass der umbetete Kranke auf jeden Fall die volle Gesundheit wieder zurückbekommt. Wir hätten gerne eine Garantie, dass alles, alles gut werden wird. Aber diese Garantieerklärung gibt es nicht. Sie würde uns auch unabhängig von Christus machen. Christen bekommen die Gewissheit: Es wird alles heil werden. Und wenn die Gemeinschaften der Heiligen sich sehr unheilig bekriegen werden: Es wird alles heil werden. Und wenn die Schmerzen immer stärker und die Lasten immer schwerer werden: Es wird alles heil werden. Und wenn die Kinder unverschämter und dann noch ausziehen werden: Es wird alles heil werden. Und wenn die Anrufe seltener und die Einsamkeiten größer werden: Es wird alles heil werden. Und wenn die Gewässer vergifteter und Tiere und Pflanzen verstrahlter werden: Es wird alles heil werden. "Um mich habe ich mich ausgekümmert", hat Zinzendorf gesagt. Um mich habe ich ausgesorgt. Um mich mache ich mir keine Probleme mehr. Auch der morgige Tag, egal was er an Rätseln und Ungereimtheiten bringen mag, wird mein Glück sein, wenn Christus mein Leben ist.

3. Der letzte Tag ist mein Gewinn

Paulus ist schlussendlich nicht von der Todessehnsucht überfallen worden. Er trat nicht die Flucht nach vorne an und wünschte sich das Ende herbei. Die Melodie "Komm süßer Tod" war ihm schon immer zuwider. Er wusste doch aus Erfahrung, wie bitter der Tod sein kann. Mütter bleiben zurück. Väter bleiben zurück. Ehegefährten bleiben zurück. Kinder bleiben zurück. Verwandte bleiben zurück. Freunde bleiben zurück, niemand und nichts, was einem bleiben würde! Tod, das große Minus. Abschied, der herbe Verlust. Sterben, der totale Bankrott. Und Paulus schreibt: Sterben ist mein Gewinn. Seit ihm früher einmal ein Blick in die unsicht­bare Welt Gottes gewährt worden ist, lebte er in einer unbändigen Freude auf die himmlische Wirklichkeit zu. All die Bilder, die später von diesem Himmel gemalt wurden, das letzte Abendmahl, die große Hochzeit, die güldenen Gassen, fasst er in dem einen Wort zusammen: "Wir werden allezeit mit dem Herrn sein." Das bedeutet, dass es keine Fessel mehr und kein Gefängnis mehr und keine Krankheit mehr und keine Schmerzen mehr und keine Tränen mehr und keinen Tod mehr geben wird. "Das Alte ist vergangen, siehe es ist alles, alles neu geworden." Kein Wunder singt Philip Nicolai: "Kein Aug hat je gespürt, kein Ohr hat je gehört solche Freude. Des jauchzen wir und singen dir das Halleluja für und für." Auch der letzte Tag, ob er früher oder später kommt, ist mein Gewinn, wenn Christus mein Leben ist.

Liebe Freunde, vielleicht sind Ihnen diese Ansagen zu steil. Der Apostel erscheint Ihnen wie ein Überflieger, der weit über Ihrem Kopf seine Bahnen zieht. Neid kommt Sie an, wenn Sie solchen Christenglauben mit Ihrem Kleinglauben vergleichen. Nein, so mögen Sie sagen? Das pack ich nicht. Wissen Sie, Paulus hat das auch nie gepackt. Er war kein religiöser Held, kein frommes Genie, kein geistlicher Supermann. Allein, und so fügt er es hier ein, allein durch Gebet und Geist wurde Christus sein Leben und Sterben sein Gewinn. Allein durch Gebet und Geist kann dies auch bei uns so werden. Beten, bitten, flehen wir um den Heiligen Geist, damit Christus mein Leben ist, denn dann ist auch der heutige Tag meine Chance, der morgige Tag mein Glück und der letzte Tag mein Gewinn.

Amen