Suchet den Herrn

Konrad Eißler
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So wie man im Kaufhaus die Ware sucht, so soll man im Gotteshaus den Herrn suchen. Amos Botschaft ist brandaktuell: Suchet den Herrn, so wie ihr den Bach, den Fluss, den Strom sucht, so werdet ihr leben. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


[Predigtmanuskript, nicht wortgleich mit der Aufnahme]

Natürlich ist er längst gestorben, dieser Kriegsveteran und Kleinbauer Amos aus Thekoa. Sein Todestag liegt in grauer Vorzeit, fast 2000 Jahre zurück in der Geschichte. Irgendwo in jüdischer Erde haben sie ihn begraben. Der, der einmal von sich sagte: “Ich bin kein Prophet, sondern nur ein Hirt, der Maulbeeren züchtet”, ist zu Staub und Asche geworden, aber seine Botschaft lebt. Sie ging durch die Jahrhunderte und hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Heute ist sie wieder zu hören: Suchet den Herrn. Würde dieser unbequeme Mann noch leben, stellte er ganz bestimmt wieder seine Hacke in die Ecke und griffe nach einem Wanderstock. Nur wäre diesmal sein Reiseziel nicht Bethel oder Gilgal oder Jerusalem, sondern Stuttgart. Wie damals vor den Reichsheiligtümern stellte er sich vor der Stiftskirche auf, ginge auf einen Gottesdienstbesucher zu und interviewte ihn: “Was suchen Sie, was suchen Sie hier, was suchen Sie hier in der Kirche?” Der Angesprochene sagt: “lch bin ein geselliger Mensch. Zuhause hocke ich alleine. Gerade am Wochenende fällt mir die Decke auf den Kopf. Die Nachbarn sind mit sich selbst beschäftigt und machen die Haustür dicht. Im Betrieb kenne ich nur sture Gesellen. Aber in der Kirche ist es anders. Hier sehe ich lauter nette Gesichter. Viele haben meine geistliche Blutgruppe. Schon manch netten Kontakt konnte ich hier knüpfen. Connections, Beziehungen sind doch lebensnotwendig. Was ich suche, haben Sie gefragt? Ich suche Menschen.” Amos fragt ernst zurück: “Ist das alles, ist das wirklich alles, was Sie suchen, nur Menschen?” Dann wendet er sich dem nächsten Gottesdienstbesucher zu und stellt dieselbe Interviewfrage: “Was suchen Sie, was suchen Sie hier, was suchen Sie hier in der Kirche?” Der etwas Überraschte sagt: “Ich bin ein religiöser Mensch. Mir ist bloß Arbeit, bloß Freizeit, bloß Essen schlicht zu wenig. Etwas Heiliges muss der Mensch haben. Zugegeben, konfessionell bin ich nicht gebunden. Ich gehe zur Stiftskirche nur deshalb, weil sie in ihrer Größe und Würde etwas von einem göttlichen Numinosum widerspiegelt. Stünde hier eine große Moschee oder ein Bahai-Tempel, würde ich dort meine religiösen Bedürfnisse befriedigen können. Was ich suche, haben Sie gefragt? Ich suche Religion.” Amos fragt wieder ernst zurück: “Ist das alles, ist das wirklich alles, was Sie suchen, nur Religion?” Dann geht er noch auf einen weiteren Gottesdienstbesucher zu und stellt ihm diese bohrende Frage. “Was suchen Sie, was suchen Sie hier, was suchen Sie hier in der Kirche? Der Stehenbleibende sagt: “Ich bin ein musikalischer Mensch. Um’s Leben gern höre ich Musik. Besonders stehe ich auf Klassik und Romantik. Seit die Konzertmieten so unverschämt teuer geworden sind, gehe ich zur Kirche. Erstklassige Orgelkonzerte mit freiem Eintritt. Bei solch hohem Niveau nehme ich selbst eine Predigt in Kauf. Was ich suche, haben Sie gefragt? Ich suche Musik.” Amos fragt noch einmal zurück: “Ist das alles, ist das wirklich alles, was Sie suchen, nur Musik?” Der Reisende in Sachen Gottesdienst ist traurig, enttäuscht, auch ein bisschen bitter: “Ich bin diesen Feiertagen gram, wo es nur um Menschen geht. Ich mag diese Versammlungen nicht riechen, wo nur ein bisschen Religion gefragt ist. Ich bin im tiefsten verstimmt, wenn nur noch Musikinstrumente gestimmt werden.” Dabei gehört Amos nicht zu den Miesmachern, sondern zu den Mutmachern. Suchet den Herrn. So wie man im Kaufhaus die Ware, im Bankhaus das Geld, im Gasthaus das Essen, im Backhaus das Brot, so soll man im Gotteshaus den Herrn suchen. Amos Botschaft ist brandaktuell: Suchet den Herrn, so werdet ihr leben.

1. Suchet den Herrn, so wie ihr den Bach sucht.

Die Leute waren durstig. Sie wussten, wie der Durst nach Wasser quälen kann. Auf ihren Wegen marschierten sie durch die Wüste, wo das Thermometer oft genug auf 40 Grad anstieg. Weil der Getränkevorrat in ihren Wasserschläuchen nicht ausreichte, stürzten sie sich im Wadi auf ein kleines Rinnsal. Aber es war Brackwasser, bitter, ungenießbar , zum Ausspucken. Deshalb suchten sie den Bach mit dem durstlöschenden Wasser. Die Leute waren durstig, so wie wir es auch sind. Wir wissen, wie der Durst nach Wasser quälen kann. Ohne dieses Element ist Leben nicht möglich. Wasserlos heißt trostlos. H2O ist das vornehmste und unentbehrlichste Lebensmittel der Erde. Mit Recht regen wir uns auf, wenn Quellen verschmutzt, Bäche aufgewärmt und Meere ölbedeckt werden. In Stuttgart brach damals ein Sturm los, als Schadstoffe im Cannstatter Mineralbrunnen festgestellt wurden. Die Zeitungen gaben Wasseralarm und die Bürger bezeichneten dieses Mineralwasser als Kriminalwasser. Wir wissen auch, wie der Durst nach Liebe quälen kann. Ohne dieses Element kann keiner gedeihen. Auch wenn wir nicht mehr verliebt sind, Liebende sind wir allemal, ein Leben lang. Kinder, die die Mutterliebe entbehren müssen, weil sie im Heim untergebracht sind, leiden an Hospitalismus. Heranwachsende, die ein Liebesdefizit aufweisen, weil sie kein warmes Nest haben, holen sich ihre Streicheleinheiten in der Disco. Ehepartner, die zu Alleinerziehern werden, weil die Ehe in Scherben ging, gehen mit ihren seelischen Tiefs zum Psychiater. Alte, mutterseelenallein im Heim auf dem Sessel, weil die Jungen so wenig Zeit für Besuche haben, müssen mit ihren Belastungen selber fertig werden. Ohne herzliche Liebe gibt es nur Tod. Wo nicht mehr geliebt wird, greift der Tod um sich. Wir wissen auch, wie der Durst nach Friede und Freude und Gerechtigkeit quälen kann. Deshalb suchen wir den Bach mit dem durstlöschenden Wasser. Und Amos sagt: Sucht nicht hier, sucht nicht dort, sucht nicht überall, sucht den Herrn. Für unseren Lebensdurst gibt es nur ein Wasser, und das kommt von ihm. Statt Kaffee kann ich Tee trinken, statt Wein Sprudel, statt Cola Fanta. Für den Herrn gibt es keinen Ersatz. Sein Wasser ist unersetzlich, wenn wir durstig sind. Und er hat diesen Bach nicht austrocknen lassen. Seit Jesu Kreuz, und das meint er mit den Begriffen Recht und Gerechtigkeit, fließt er durch seine Gemeinde. In jedem Gottesdienst sitzen wir nunmehr nicht nur auf der Bank, sondern am Bach. Dazu haben wir die Zusage: “Wer von diesem Wasser trinken wird, den wird nicht dürsten.” Es muss keiner verdursten, auch wenn er sich an diesem Tag in einer erbarmungslosen Wüste befindet. Es muss keiner Durst leiden, auch wenn er in dieser Stunde auf dem Trockenen sitzt. Es muss keiner umkommen, auch wenn er in diesem Augenblick nach Kraft und Zuversicht lechzt. Lebensdurst ist stillbar und wird einmal ganz vergessen sein, wenn das letzte Buch der Bibel wahr wird: “Sie wird nicht mehr hungern noch dürsten, denn er wird sie leiten zu den ewigen Wasserbächen.” Suchet den Herrn, so wie ihr den Bach sucht, denn ihr braucht ihn für euren Durst.

2. Sucht den Herrn, so wie ihr den Fluss sucht.

Die Leute waren schmutzig. Sie wussten um den Staub der Landstraße. Wer stundenlang über diese nicht asphaltierten Straßen wandert, bekam schmutzige Füße und dreckige Kleider. Keiner wollte dann auf das Waschen verzichten. Deshalb freuten sie sich, wenn irgendwo ein Fluss auftauchte, wo man untertauchen und auch seine Kleider saubermachen konnte. Die Leute waren schmutzig, so wie wir es auch sind. Wir wissen, dass Schmutz an unseren Füßen klebt. Zu viel Wege sind wir gegangen, auf denen wir ausgerutscht sind, und die wir besser nicht gegangen wären. Wir wissen auch, dass Dreck an unseren Händen klebt. Bei zu viel Dingen hatten wir unsere Hände mit im Spiel, wo wir besser unsere Hände ‘rausgelassen hätten. Wir wissen, dass auch unser Herz und Gewissen nicht frei ist. Sünde ist der Schmutz unseres Lebens. Deshalb brauchen wir den Fluss, wo wir untertauchen und rein werden können. Und Amos sagt: Sucht nicht hier, sucht nicht dort, sucht nicht überall, suchet den Herrn. Für unsere Lebensschuld gibt es nur einen Fluss, und der kommt von ihm. Am Waschbecken können wir unsere Hände waschen. Unter der Dusche können wir unsere Füße reinigen. Im Bad können wir uns ganz sauber machen, aber die Sünde löst sich dort nicht ab. Die unbereinigte Vergangenheit ist eine Schmutzschicht, die wir nicht losbekommen. Wir mögen vergessen oder bagatellisieren, wir mögen mit allen Wässerchen gewaschen sein, die Sünde ist indanthren, das heißt luftecht, lichtecht, wasserecht. Deshalb brauchen wir seinen Fluss. Amos zeigt schon nach Golgatha. Recht und Gerechtigkeit ist geflossen. Das Blut des Sohnes ist der Fluss. Dort gibt es Reinigung für Füße, Hände und Herz. Alle Schuld kann ich loswerden. Von aller Sünde kann ich freiwerden! Mit allem Schmutz kann ich fertigwerden. Durch ihn werde ich frei von aller Ungerechtigkeit. Nachdem der Kämmerer vom Mohrenland, sprich Finanzminister ihrer Hoheit Kandaze, in den Fluss gestiegen war und dies Bad der Vergebung genommen hatte, da heißt es in der Apostelgeschichte, er zog seine Straße fröhlich. Das ist die Möglichkeit. Wollen Sie weinend ihrer Straße ziehen? Wollen Sie traurig nach Hause gehen? Wollen Sie bedrückt die neue Woche beginnen? Suchet den Herrn, so wie ihr den Fluss sucht, denn ihr braucht ihn für eure Schuld.

3. Sucht den Herrn, so wie ihr den Strom sucht.

Die Leute waren beladen. Sie wussten um den Lastentransport und litten darunter. Wer von ihnen besaß schon Zugtiere, die vor den Karren gespannt, diese mühselige Plage übernehmen konnten? Das meiste wurde ihnen auf den Rücken gesattelt. Mit schwerem Schritt und keuchendem Atem zogen sie dahin. Als Packesel hatten sie ein schweres Los. Aber welches Aufatmen ging durch die Reihen, wenn ein Strom sichtbar wurde. Schnell wurde abgeschnallt. Die Lasten flogen von den Schultern. Gebeugte Nacken richteten sich wieder auf. Auf einem grob gezimmerten Floß stapelten sich die Ballen und Kisten und schwammen hinunter, getragen vom breiten Strom. Natürlich sind wir besser dran. Wir haben nicht nur Zugtiere, sondern sogar Zugmaschinen mit vielen Pferdestärken. Dort hieven wir unsere Lasten drauf und transportieren sie hunderte Kilometer weit. An Koffern und Kisten muss sich keiner verlupfen. Aber wer trägt unsere Last der Angst, die Angst zum Beispiel um unseren Arbeitsplatz? Wer hebt unsere Last der Sorge, die Sorge zum Beispiel um unsere Gesundheit? Wer hievt unsere Last der Schmerzen, die Schmerzen zum Beispiel um unseren Nächsten? Wer schultert unsere Last der Trauer, die Trauer zum Beispiel um unseren Toten? Wer transportiert unsere Last der Verzweiflung, die Verzweiflung zum Beispiel um nicht enden wollendes Quälen und Schießen und Töten? Das alles nimmt uns doch kein Transporter ab. Das alles wird uns doch auf den Rücken gesattelt. Das alles bricht uns noch das Genick. Weil wir alle miteinander elende Packesel sind, deshalb keuchen wir und schleppen und mit schwerem Atem dahin. Wir brauchen den Strom, der unsere Lasten trägt. Und Amos sagt: “Suchet nicht hier, suchet nicht dort, sucht nicht überall, sucht den Herrn.” Und der hat durch den Propheten Jesaja Jesus angekündigt: “Wenn der kommen wird, wird er wie ein starker Strom kommen (Jes.55,19).” Und dann kam er und sagte: “Eure Angst, hinein damit. Eure Sorge, hinein damit. Eure Traurigkeit, hinein damit. Alle eure Lasten, hinein damit. Mehr: Springt selbst in meinen Strom der Liebe, denn ich will nicht nur euer schweres Gepäck, ich will euch selbst tragen bis ins Alter und bis ihr grau werdet.”

Liebe Gemeinde, Amos zählt zu den kleinen Propheten, aber seine Botschaft ist groß: Sucht den Herrn, so wie ihr den Bach, den Fluss, den Strom sucht, sucht den Herrn, so werdet ihr leben.

Amen