Gottesdienst

Konrad Eißler
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Amos gibt damit Antwort auf die Frage: Gottesdienst, wie ist das? Sie brauchen nicht belastet nach Hause gehen. Denn Gottes­dienst ist wie Waschwasser, wie Trinkwasser, wie Quellwasser. Mit diesen Erfrischungen können Sie leben. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Estomihi heißt der heutige Sonntag: Sei mir ein starker Fels. Stellen Sie sich vor, liebe Gemeinde, was sich ein Pfarrer an diesem Sonntag vor der Passionszeit geleistet hat. Wie immer gegen 10 Uhr gingen die Leute zur Kirche, aber sie versammelten sich alle auf dem Kirchplatz. Wie immer um 10 Uhr läuteten die Glocken, aber kein Mensch betrat das Kirchenschiff. Wie immer nach 10 Uhr hasteten die Verspäteten an, aber das große Portal war zu. Wurde die Kirche baupolizeilich geschlossen? Hat der Mesner schlichtweg verschlafen? Ist der Pfarrer über Nacht vom Schlag getroffen worden? So gingen die Fragen wild durcheinander. Aber dann entdeckten sie folgendes Plakat an der Kirchentür und lasen: “Der Predigttext auf den Sonntag Estomihi steht in Amos 5 und lautet: V21-24. Aufgrund dieses Predigttextes bleibt die Kirche heute geschlossen. Einen guten Sonntag wünscht Ihr Pfarrer.” Wahrlich ein starkes Stück und ganz gewiss nicht im Sinne des Propheten. Aber ein Schock war es, ein Impuls, ein Denkanstoß zur Frage: Gottesdienst, was heißt das? Gottesdienst, was soll das? Gottesdienst, wie ist das? Vielleicht nützten drei Bekannte die Stunde für einen Sonntags­spaziergang und dachten dieser Frage nach: Gottesdienst, wie ist das? Der erste meinte: “Gottesdienst ist wie Pause. Ich bin ein geselliger Mensch. Zuhause hocke ich alleine. Nachbarn wollen nichts wissen. Im Betrieb kenn’ ich nur sture Gesellen. Aber in der Kirche ist es anders. Dort treffe ich lauter sympathische Leute, die dieselbe Blutgruppe wie ich haben. Mit denen kann ich frei und offen reden. Nett sind diese Begegnungen, einfach nett. Gottesdienst ist wie Pause.” Aber genau das prangerte der Prophet an: “Ich bin eur­en Sonntagen gram, wenn ihr sie nur zu Sprechtagen macht. Ich mag eure Versammlungen nicht riechen, wenn ihr sie nur zu Pausengesprächen nützt. Suchet nicht zuerst Kontakte und Beziehungen und nette Gesichter, suchet Gott, so werdet ihr leben.” Dann meinte der zweite: “Gottesdienst ist wie Handel. Ich bin ein rechnender Mensch. Der Gottesdienstbesuch kostet mich eine Runde Schlaf, zwei Stunden Zeit und eine ordentliche Kollekte am Ausgang. Bei so viel Opfer kann sich Gott nicht lumpen lassen. Eine Hand wäscht die andere. Ich will zwar nicht unverschämt sein, aber weniger Schmerzen im Fuß und mehr Freude an meinem Filius darf ich doch wohl erwarten. Gottesdienst ist wie Handel.” Aber genau das prangerte der Prophet wieder an: “Ich habe kein Gefallen an euren Opfern, wenn ihr sie nur als Handelsware einsetzt. Ich mag eure Gaben nicht riechen, wenn ihr sie nur als Zahlungsmittel anseht. Sucht nicht zuerst Schmerzfreiheit und Lustgewinn und Glücksgefühle, suchet Gott, so werdet ihr leben.” Schließlich meinte der dritte: “Gottesdienst ist wie Musik. Ich bin ein musikalischer Mensch. Um’s Leben gern höre ich Bach und Mendelssohn. Die Klassiker bauen mich auf. Seit die Konzertmieten so unverschämt teuer geworden sind, gehe ich zur Kirche. Erstklassige Darbietungen mit freiem Eintritt. Bei solch hohem Niveau nehme ich auch eine Predigt in Kauf. Gottesdienst ist wie Musik.” Aber genau das prangerte der Prophet noch ein­mal an: “Ich mag eure Harfen nicht hören, wenn ihr nur schöne Töne hören wollt. Ich bin im tiefsten verstimmt, wenn ihr nur eure Instrumente stimmt. Suchet nicht zuerst Kenner und Könner und Künstler, suchet Gott, so werdet ihr leben.” Unsere Sonntagsspaziergänger lagen mit ihren Meinungen glatt daneben. Sie hätten den Text an der Kirchentür besser studieren sollen: “Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.” Amos gibt damit Antwort auf die Frage: Gottesdienst, wie ist das? Nicht wie Pause oder Handel oder Musik, sondern wie Wasser. Gottesdienst ist wie Wasser. Und damit wir nicht an ein erbärm­liches Rinnsal denken, das nach wenigen Metern im Sand versickert, spricht er von einem Bach, von einem Fluss, von einem Strom, der durch unsere Welt fließt. Gottesdienst ist wie Wasser. Er sagt es genauer, und das ist sein erster Hinweis:

1. Er ist wie Quellwasser.

Die Leute waren kundig. Sie wussten, dass der Mensch nicht nur Luft und Licht und Nahrung, sondern auch und vor allem Wasser braucht. Deshalb zogen sie jeden Tag los, um mit ihren Wasserkrügen auf dem Kopf oder ihren Wassereimern an der Hand eine Wasserstelle aufzusuchen. Dort seilten sie ihre Gefäße ab und schöpften tief. Sie wussten weiter, dass zum frischen Wasser für den Leib das lebendige Wasser für die Seele dazukommen muss. Deshalb marschierten sie jeden Feiertag los, um mit ihren Enkeln auf dem Arm oder ihren Kindern an der Hand eine Betstelle aufzusuchen. Dort öffneten sie ihre Ohren und Herzen und nahmen auf. Aber in Bethel, nur 17 Kilometer südlich von Jerusalem, war es abgestandenes Grundwasser, das aus alten Zisternen kam. Und in Gilgal, östlich der Feste Jericho, war es ungenießbares Salzwasser, das aus dem Meer kam. Und in Beerseba, ganz im südlichsten Zipfel Palästinas war es vergiftetes Abwasser, das aus den Kanälen kam. Lebendiges Wasser fanden sie nicht, so wie sie es heute wieder nicht finden. Viele wissen, dass außer dem Leib auch die Seele versorgt sein will. Deshalb reisen sie jedes Wochenende los, um mit ihren Freunden oder Bekannten im Auto eine Meditationsstelle aufzusuchen. Dort sind sie ganz Ohr und lassen es in sich eindringen. Aber im transzendentalen Meditationszentrum, nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt, ist es nur abgestandenes Grundwasser, das aus der östlichen Mystik kommt. Und im Regenbogenzentrum, mitten drin in der City, ist es ungenießbares Salzwasser, das aus dem Meer profilloser Religionsvermischung kommt. Und im esoterischen Zirkel, etwas versteckt im Hinterhaus, ist es nur vergiftetes Abwasser, das aus dunklen Ecken des Spiritismus kommt. Weil dem so ist, deshalb warnt der Prophet: Suchet nicht Bethel, kommt nicht nach Gilgal, geht nicht nach Beerseba, das heißt: Sucht nicht irgendwelche Meditationszentren, kommt nicht in zwielichtige Lebenszentren, geht nicht in dunkle Zirkel, sondern suchet den Herrn. Er ist die Quelle des Lebens. Kommt zu seinem Wort, das ist der Quelltopf lebendigen Wassers. Geht in den Gottesdienst, das ist das Quellwasser für eure Seele. Hier ist nichts abgestanden, weil er es jeden Morgen neu aus seiner unsichtbaren Wirklichkeit hervorquellen lässt. Hier ist nichts ungenießbar, weil er im 2. Königebuch gesagt hat: “Ich habe dies Wasser gesund gemacht.” Hier ist nichts vergiftet, weil seine Verheißung wahr bleibt: “Er führet mich zum frischen Wasser und erquicket meine Seele.” Warum sind so viele unruhig geworden? Warum irren so viele durch die religiöse Landschaft? Warum suchen so viele wie die Wünschelrutengänger nach noch süßeren und geschmackvolleren Quell­en, als ob das lebendige Wasser der Bibel nicht voll genügend wäre? Gottesdienst ist wie Quellwasser. Das ist der erste Hinweis, und der zweite:

2. Er ist wie Trinkwasser.

Die Leute waren durstig. Sie wussten, wie der Durst nach Wasser quält. Auf ihrem Weg marschierten sie durch die Wüste, wo das Thermometer oft genug auf 40 Grad anstieg. Weil der Getränkevorrat nicht ausreichte, stürzten sie sich in einem Wadi auf einen kleinen Tümpel. Aber es war Brackwasser, das man nicht trinken durfte. Sie wussten weiter, wie der Durst nach Liebe quält. Der trieb sie oft genug in dubiose Liebeleien. Mit dunklen Praktiken suchten sie ihren Durst zu stillen. Aber das war wie Meerwasser, das einen noch durstiger machte. Und sie wussten, wie der Durst nach Friede und Freude und Hoffnung quält, aber alles Ange­botene war wie Giftwasser, das gefährlich war. Dürstende Menschen, so wie wir auch. Wer hat nicht immer wieder Durst nach Wasser? Ohne dieses Element ist Leben überhaupt nicht möglich. Wasserlos heißt trostlos. Wasser ist ein unentbehrliches Lebensmittel der Erde. Mit Recht regen wir uns auf, wenn Quellen verschmutzt, Flüsse aufgewärmt und Meere ölbedeckt werden. Und wer hat nicht immer wieder Durst nach Liebe? Ohne diese Kraft kann keiner gedeihen. Kinder, die die Mutterliebe entbehren müssen, weil sie im Heim untergebracht sind, leiden an Hospitalismus. Heranwachsende, die ein Liebesdefizit aufweisen, weil sie zuhause kein warmes Fest haben, holen sich ihre Streicheleinheiten in der Disco. Ehepartner, die zu Alleiner­ziehern werden, weil die Ehe in Scherben ging, gehen mit ihren seelischen Tiefs zum Psychiater. Oder wer hat nicht immer wieder Durst nach Friede und Freude und Gerechtigkeit? Weil dem so ist, deshalb warnt der Prophet: Sucht nicht hier, sucht nicht dort, sucht nicht überall, sondern suchet den Herrn. Für unseren Lebensdurst gibt es nur eine Quelle, und die sprudelt bei ihm. Es gibt niemand und nichts anderes dafür. Statt Kaffee kann ich Tee trinken, statt Wein kann ich Sprudel besorgen, statt Cola kann ich Fanta kaufen. Für Gott gibt es keinen Ersatz. Sein Trinkwasser ist unersetzlich, wenn es uns nach Leben dürstet. Und er hat es seither nicht versiegen lassen. In Jesus kam er und öffnete uns diese Quelle der Gnaden. In seinem Wort ist sie da, wenn wir hier die Bibel aufschlagen und darüber stille werden. In seinem Sakrament ist sie da, wenn wir uns auf die Füße machen und die Einladung zum Abendmahl annehmen. Und im Gebet ist sie da, wenn wir unsere Hände falten und in Dank und Bitte ihm gegenübertreten. Die Einladung gilt: “Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke.” Und die Verheißung ist wahr: “Wer von dem Wasser trinken wird, den wird ewiglich nicht dürsten.” Es muss kein­er verdursten, auch wenn er sich an diesem Tag in einer erbarmungs­losen Wüste befindet. Es muss keiner Durst leiden, auch wenn er in dieser Stunde mit einem entsetzlichen Brand zu kämpfen hat. Es muss keiner zugrunde gehen, wenn er in diesem Augenblick nach Kraft und Zuversicht lechzt. Lebensdurst ist jetzt stillbar und wird einst sogar vergessen sein, dann, wenn das letzte Buch der Bibel wahr wird: “Sie wird nicht mehr hungern noch dürsten, denn das Lamm wird sie weiden und leiten zu den lebendigen Wasserbrunnen, und Gott wird abwischen allen Tränen von ihren Augen.” Bis zu diesem herr­lichen Ende gilt es dabeizubleiben, denn Gottesdienst ist wie Trinkwasser. Und der letzte Hinweis:

3. Er ist wie Waschwasser.

Die Leute waren schmutzig. Sie wussten um den Staub der Landstraße. Wer tagelang über diese Wege wandert, bekommt schmutzige Füße. Keiner wird auf das Waschen verzichten wollen. Deshalb standen Becken bereit, um sich sauber zu machen. Und sie wussten weiter um den Dreck der Lebensstraße. Wer jahrelang durch dieses Leben wandert, bekommt schmutzige Füße, schmutzige Hände, ein schmutziges Herz. Sünde ist der Schmutz des Lebens. Keiner wird auf das Waschen verzichten können. Niemand wird auf die Reinigung verzichten dürfen. Alle sind auf die Vergebung angewiesen. Aber stehen dafür auch Becken bereit? Werden dafür auch Reinigungsmittel angeboten? Gibt es dafür, für diesen Abwasch, auch Wasser? Wir wissen, dass wir am Waschbecken unsere Hände waschen können. Wir wissen auch, dass wir unter der Dusche unsere Füße reinigen können. Wir wissen sogar, dass wir im Bad ganz sauber werden können. Aber wissen wir auch, dass wir mit unseren Wassern die Sünde nicht los­bekommen? Die Schuld haftet uns an. Die Ungerechtigkeit klebt an uns. Die unbereinigte Vergangenheit ist eine Schmutzschicht, die wir nicht losbekommen. Wir mögen vergessen oder verdrängen oder bagatellisieren, wir mögen mit allen Wässerchen gewaschen sein, immer wieder ist sie da. Die Sünde ist indanthren, das heißt luftecht, lichtecht, wasserecht. Deshalb bittet der Psalmist Gott selber: “Wasche du mich rein“, weil kein anderer mich waschen kann. “Reinige du mich von meiner Sünde“, weil mich kein anderer reinigen kann. “Entsündige mich“, weil mich kein anderer entsündigen kann. Und Gott will das tun. Durch sein Wort führt er uns nach Golgatha. Das Blut des Sohnes ist das Waschwasser für Sünde. Dort gibt es nicht nur Kleiderreinigung, so außen herum. Dort gibt es nicht nur Hände- und Füßereinigung. Dort gibt es Reinigung des Herzens. Alle Last kann ich loswerden. Von aller Schuld kann ich freiwerden. Mit allen Sünden kann ich fertigwerden. Durch ihn werde ich chemisch rein von aller Ungerechtigkeit. Nachdem der Kämmerer vom Mohren­land, nachdem dieser Finanzminister aus Äthiopien dieses Bad der Vergebung genommen hatte, da, und so heißt es in der Apostelge­schichte, zog er seiner Straße fröhlich. Das ist die Möglichkeit. Wollen Sie traurig Ihrer Straße ziehen? Wollen Sie belastet nach Hause gehen? Wollen Sie bedrückt die neue Woche beginnen? Gottes­dienst ist wie Waschwasser, wie Trinkwasser, wie Quellwasser. Mit diesen Erfrischungen können Sie leben.

Amen