Gottesbeweis

Konrad Eißler
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Der Graben mit der Frage nach dem Gottesbeweis ist breit und tief und von unserer Seite nicht zu überspringen, meint Konrad Eißler. Aber er stellt drei Antwortsätze heraus: 1. Niemand kann mir Gott beweisen, aber 2. Gott kann sich mir erweisen. Nun 3. kann ich auf Gott hinweisen.


Wer kann mir Gott beweisen? Diese Frage, liebe Gemeinde, ist nicht in den Nachkriegsjahren formuliert worden. Man fragte nicht, sondern stellte fest, so wie in New York. Am U-Bahnhof der Columbia-Universität, dem Zentrum des amerikanischen Atheismus, hatte einen mit der Sprühdose an die Wand geschmiert: Gott ist tot. Punkt. Nietzsche. Kurze Zeit später hatte ein anderer darunter geschrieben: Nietzsche ist tot. Punkt. Gott. Passanten blieben davon stehen und überlegten sich, wer recht hat. Sie mussten sich für die eine oder die andere These entscheiden. Für die Arbeit einer Be­weisführung blieb keine Zeit.

Wer kann mir Gott beweisen? Diese Frage ist nicht in den Kriegsjahren diskutiert worden. Man fragte nicht, sondern klagte an, so wie Wolfgang Borchert. Zwischen den Trümmern schrieb er sich den Schmerz von seiner Seele: “Du bist alt, Gott und unmodern. Du kommst mit unseren langen Listen von Tränen nicht mehr mit. Du bist ein Märchen, lieber Gott.” Zeitgenossen fühlten sich angesprochen und gaben ihm recht. Auch sie konnten angesichts des Chaos mit einem Gott nichts mehr anfangen.

Wer kann mir Gott beweisen? Diese Frage ist nicht in den Vorkriegsjahren eruiert worden. Man fragte nicht, sondern ballte die Fäuste, so wie in Berlin. Die Arbeitslosen der Weimarer Zeit hatten in Bert Brecht ihren Sprecher gefunden, der sarkastisch drohte: “Wer unten sagt, dass es einen Gott gibt, den soll man mit dem Kopf auf das Pflaster schlagen, bis er tot ist. Es helfen nur Menschen, wo Menschen sind, und es hilft kein Gott, wo kein Gott ist.”

Wer kann mir Gott beweisen? Diese Frage stammt nicht einmal aus dem Jahrhundert, wo man sich in gebildeten Kreisen der Nichtexistenz Gottes sicher war. Im Jahre 1777 schrieb der hochgebildete Bibliothekar Gotthold Ephraim Lessing einen Brief. Darin heisst es: “Wenn ich zu Christi Zeiten gelebt hätte, so würden mich die in seiner Person erfüllten Weissagungen allerdings sehr aufmerksam gemacht haben. Hätte ich gar gesehen ihn Wunder tun, hätte ich willig meinen Verstand dem seinigen unterworfen. Aber ich, der ich im 18. Jahrhundert lebe, was soll ich tun? Wo ist der Erweis des Geistes und der Kraft, wie es der Apostel Paulus nennt? So stehe ich heute jenseits des garstigen Grabens, über den ich nicht kommen kann, so oft und ernst ich auch den Sprung versucht habe. Kann mir jemand hinüberhelfen, der tue es, ich bitte ihn, ich beschwöre ihn. Er verdient einen Gotteslohn an mir.”

Damals also, am Ende der französischen Aufklärung, ist die Frage aufge­taucht. Sicher ist sie viel älter, wahrscheinlich so alt wie die Menschheit überhaupt, aber in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat sie Worte gefunden, die nicht mehr vergessen wurden. Der Pfarrersohn Lessing ist zum Mund derer geworden, die daran leiden. Es sind ja nicht die Überheblichen und Selbstsicheren, sondern die Angefochtenen und Fragenden, die zwischen Gott und sich einen breiten Graben empfinden, der nicht überspringbar ist.

Ihr Graben ist vielleicht ein Grab, in das ein lieber Angehöriger gelegt worden ist. Ohnmächtig steht man vor dem Stein, diesem Siegel der Endgültigkeit, und weiß: Der Tod hat seine Kraft unter Beweis gestellt, aber Gott? Wer kann mir Gott beweisen? Ihr Graben ist vielleicht eine Krankheit, die Sie seit Jahren belastet. Hilf­los ist man den Schmerzen ausgesetzt und weiß: Das Geschwür stellt seine Kraft unter Beweis, aber Gott? Wer kann mir Gott beweisen? Ihr Graben ist vielleicht die Zukunftsangst, die durch viele Nach­richten und Zeitungsartikel geistert. Deprimiert starrt man auf wahnsinnige Vor- und Nachrüstungen in der Welt und weiß: Die Atomrakete wird ihre Kraft unter Beweis stellen, aber Gott? Wer kann mir Gott beweisen?

Weil es viele sind, sehr viele, wahr­scheinlich, viel mehr, als wir wahrhaben wollen, die nicht nur einen breiten Graben empfinden, sondern schon am Rande sind und sich hinübersehnen, deshalb sind die Briefzeilen des Apostels besonders wichtig. Trotz ihrer schwierigen Gedankenführung lassen sich drei Antwortsätze herausstellen: Niemand kann mir Gott beweisen, aber 2. Gott kann sich mir erweisen. Nun 3. kann ich auf Gott hinweisen.

1. Niemand kann mir Gott beweisen.

Immer wieder machten sich kluge Köpfe daran, den Beweis anzutreten. Immer wieder meldeten sich ge­scheite Geister zur Stelle, den Gotteslohn zu verdienen. Immer wieder boten sich fleißige Hände an, die Brücke zu schlagen. Der garstige Graben muss doch überwindbar sein.

Damals wahren es die gnostischen Weisheitslehrer, die von der Seele ausgingen. Gott sei ein großes Licht im Universum, von dem aus ein ständiger Funkenregen über die Menschheit herabgehe. Als kleiner Lichtfunke dringe er in gute und vollkommene Menschen ein und verbreite dort ein inneres Licht. Wer also mit der Seele schaue, bei dem blitze das Göttliche auf. Dieses Licht schlage gleichsam einen Bogen über den Abgrund. Die Seele wisse um die Existenz Gottes. Und Paulus sagt: Niemand weiß, was in Gott ist. Dass er wie beim Silvesterfeuerwerk im Funkenflug zu uns gekommen sei, ist reine Spekulation. Unsere Seele ist genauso dunkel und vom Zweifel angefressen wie unser Herz. Diese Gnosis bewegt nichts.

Dann waren es die philosophischen Weisheitslehrer, die von der Vernunft aus­ gingen. Gott sei der erste Beweger im Universum, von dem aus der Kosmos angestoßen wurde. Alle Dinge hätten einen Anfang und des­halb könne auch die Welt nicht ohne einen Anfänger gedacht werden. Wer also mit der Vernunft schaue, der stoße mit logischer Konsequenz auf Gott. Diese Logik baue gleichsam einen Steg über den Graben. Die Vernunft wisse um die Existenz Gottes. Und Paulus sagt: Niemand weiß, was in Gott ist. Dass er und kein Urknall die Dinge in Bewegung gebracht hat, ist reine Vermutung. Unsere Vernunft ist genau so angekränkelt wie alles andere auch. Diese Philosophie beweist nichts.

Dann waren es die theologischen Weisheitslehrer, die von den Augen ausgingen. Gott sei der mächtige Schöpfer im Universum, von dem aus alles am Leben erhalten wird. Kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm wäre ohne ihn. Wer also mit den Augen schaue, der erkenne den Schöpfer. Diese Erkenntnis ziehe gleichsam eine Verbindung über die Tiefe. Das Auge wisse um die Existenz Gottes. Und Paulus sagt: Niemand weiß, was in Gott ist. Dass der liebe Gott durch den Wald geht und sich in der Natur versteckt, weiß zwar das Volkslied, aber nicht die Bibel. Unsere Augen können nicht nur farbenblind sein und die vielen Farbschattierungen nicht mehr wahrnehmen. Unsere Augen können nicht nur nachtblind sein und in der Dunkelheit nichts mehr aufnehmen. Unser aller Augen sind gottesblind. Diese Theologie beweist nichts.

Es bleibt dabei, dass wir am garstigen Graben stehen und uns niemand eine Brücke bauen kann, die Gnostiker nicht mit ihrer Seele, die Philosophen nicht mit ihrer Vernunft, die Theologen nicht mit ihren Augen. Kein Herrscher dieser Welt beherrscht diesen Brücken­bau. Der Graben ist breit und tief und von unserer Seite nicht zu überspringen. Dem Lessing und seinen Nachbetern ist nichts zu beweisen. An ihnen ist kein Gotteslohn zu verdienen. Es bleibt dabei: Niemand kann mir Gott beweisen. Aber, und in diesem zweiten Punkt steckt das Evangelium:

2. Gott kann sich mir erweisen.

Wir kommen nicht hinüber zu ihm, aber er kommt herüber zu uns. Wir sind mit unserem Latein bald am Ende, aber er macht mit seiner Weisheit bei uns einen Anfang. Wir reichen mit unserem Geist nicht weit, aber sein Geist erreicht uns. Und durch diesen Geist wissen wir, dass Gott ist. Dieser lebendige Gott nämlich ist nicht auf seiner Seite stehengeblieben und hat uns freundlich zugewinkt. Wir wissen doch mehr als um ein paar Flaggenzeichen seiner Liebe. Dieser lebendige Gott ist nicht am andern Ufer sitzengeblieben und hat uns fernmündlich gegrüßt. Wir wissen doch mehr als um ein paar Ferngespräche aus der Ewig­keit. Nein, dieser lebendige Gott sah unsere verzweifelten Ver­suche, wie wir Stege bauen wollten und dann doch im Graben landeten, im Graben des Zweifels und der Verzweiflung. So aber wollte er seine Brückenbauer nicht liegenlassen, weil er ein mitfühlendes und mitleidiges Herz hat. Deshalb schickte er seinen einzigen Sohn los. Er kommandierte ihn zum Leidensgenossen aller Fragenden und Zweifelnden. Er degradierte ihn zum Sündenbock aller Schuldigen und Belasteten. Er dekorierte ihn zum Bettel­könig mit der Dornenkrone. Aber Gott hat Jesus nie verlassen. Aus dem tiefsten aller Graben, dem Todesgrab, hat er ihn zurückgeholt und damit alle Gräben und Abgründe für überbrückbar erklärt. So macht es uns der Geist Gottes klar: Jesu Geburt ist der Brückenschlag von der andern Seite. Jesu Kreuz ist das Brückenholz über den garstigen Graben. Jesu Auferstehung ist das Brückengeländer für unsere zitternden Hände. Jesus Christus ist der Erweis Gottes. Wer ihn sieht, sieht das, was noch kein Auge gesehen hat. Wer ihn hört, hört das, was noch kein Ohr gehört hat. Wer ihn liebt, liebt das, was noch in keines Menschen Herz gekommen ist. Gottes Geist in uns erkennt Gott.

Ich ahne, liebe Freunde, dass viele am Zeitgeist leiden. Er dringt durch alle Fugen unseres Lebens und will uns weismachen, dass wir ohne den Faktor Gott unsre Lebensrechnung zu machen hätten. Ich ahne, dass viele am Schwarmgeist leiden. Er bläst uns ins Ohr, dass es immer noch frömmere und wärmere Zirkel für unsere Seligkeit brauche. Ich ahne, dass viele am Schwermutsgeist leiden. Er verdunkelt die Sinne, dass wir keinen Ausweg mehr sehen. Ich ahne das alles, aber ich sehe das andere, dass wir den Heiligen Geist bekommen können. Er strömt durch das Gebet in unser Leben und macht uns in jedem Augenblick gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn. Deshalb ist die altkirchliche Bitte um den Heiligen Geist: “Veni creator spiriti”, “Komm Heiliger Geist” von nicht zu überschätzender Bedeutung. Gott kann sich mir erweisen. Nun, und das ist das Dritte:

3. Ich kann auf Gott hinweisen.

Wenn einer am Grab steht, übermannt von Trauer, und zu fragen beginnt: Weisst du, warum gerade mir der Mann weggenommen wurde? Weisst du, wie ich meinen Weg allein finden soll? Weisst du, welche Worte jetzt weiterhelfen können? Weisst du, was der Tod in der Welt überhaupt soll? Wenn einer so fragt, dann kann ich nur sagen: Du, ich weiß nichts anderes als allein Jesus Christus den Gekreuzigten. Er nimmt die Leute nicht weg, sondern mit. Er reisset durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not, er reißet durch die Höll, ich bin stets sein Gesell. Mit ihm bin ich auch auf der gottverlassensten Strecke immer zu zweit auf dem Weg.

Und wenn einer krank ist, belastet mit Schmerzen, und zu fragen beginnt: Weisst du, warum gerade ich so leiden muss? Weisst du, ob ich noch einmal gesund werde? Weisst du, welche Mittel jetzt weiterhelfen? Weisst du, was der Schmerz in der Welt überhaupt soll? Wenn einer so fragt, dann kam ich nur sagen: Du, ich weiß nichts anderes als allein Jesus den Gekreuzigten. Er ist der Schmerzensmann ohnegleichen. In letzter Solidarität mit allen Leidenden ließ er sich die Hände und Füße durchschlagen. Nur ihm ist dieses Wort abzunehmen: Ich bin bei euch alle Tage. Und wenn einer Angst hat, beschwert durch die Zukunft, und zu fragen beginnt: Weisst du, warum der Horizont so dunkel ist? Weisst du, ob wir noch eine Überlebenschance haben? Weisst du, welche Politik jetzt weiterhelfen könnte? Weisst du, was die Angst in der Welt überhaupt soll? Wenn einer so fragt, dann ich wieder nur sagen: Du, ich weiß nichts anderes als allein Jesus Christus den Gekreuzigten. Er hat eine neue Morgenröte anbrechen lassen. Mit ihm hat eine Zukunft schon begonnen, die nicht rabenschwarz, sondern glockenhell sein wird. Deshalb seid getrost, er hat die Welt überwunden.

Genauso weist Paulus hier auf Gott hin: Ich hielte nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch als allein Jesus Christus den Gekreuzigten. Er sagt es nicht vollmundig und im Brustton der Überzeugung, sondern in Schwachheit, in Furcht, mit großem Zittern, aber in der Gewissheit, dass sich mit Jesus der breite und garstige Graben überwinden lässt. Den Gotteslohn verdient Gott selber. Es stimmt schon: Niemand kann mir Gott beweisen, aber Gott kann sich mir erweisen. Nun kann ich mit meinen schwachen und unzulänglichen Worten auf Gott hinweisen: Jesus Christus der Gekreuzigte, er allein.

Amen